baer aktuell 336 – 22. Mai 2024

Bild des Monats Mai 2024: Jürgen Raap, „Die Wut der Dekorateure“, Acryl/Öl auf Leinwand, 2024

Köbes Underground ist die Hauskapelle der alternativ-karnevalistischen Stunksitzung Sie steuert ein musikalisches Scherflein zum Sommerprogramm am Kölner Tanzbrunnen bei, und zwar ausgerechnet vier Tage, nachdem man sich dort schon „auf eine Currywurst mit Gregor Gysi“ (Plakattext) einfinden durfte, wobei zum selben Eintrittspreis eine Offerte „auf einen halben Hummer mit Gregor Gysi“ – von wegen „Salonbolschewismus“ – zwar wohl mehr Publikum anlocken würde, der gewollten Volkstümlichkeit des Programms indes eher abträglich wäre. Oder man trifft lieber sich „auf ein Eis“ mit dem CDU-Kandidaten Axel Voss (s. Foto). (Fotos: Copyright Raap/Bär und Kallnbach)

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Kann man „okay“ sprachlich steigern, deklinieren oder konjugieren? Nein, kann man nicht. Die anscheinend wenig sprachbegabte Grünen-Chefin Ricarda Lang tut’s trotzdem und bezeichnete kürzlich einen einigermaßen auskömmlichen Job als „okaye Arbeit“. Herr Bär findet: das ist an Sprachverhunzung ja noch schlimmer als manche sprachliche Fehlleistung beim gendern.

Zu den höchst überflüssigen neumodischen Anglizismen gehört gewiss das Wort „Crunchtime“, das schlichtweg „Endphase“ eines Spiels oder sportlichen Wettbewerbs bedeutet – eine Vokabel, die noch „vor 30 Jahren…nicht oder selten gebraucht wurde“, wie bei „Wortbedeutung.de“ nachzulesen ist. Für die Ampelkoalition ist nun rund anderthalb Jahre vor der nächsten Bundestagswahl die „Crunchtime“ angebrochen, ließe sich dazu als Satzbeispiel anmerken. Das Verb „to chrunch“ meint „knirschend zerkauen“ und kann daher auch als Metapher für die interne Selbstzerfleischung der Koalition eingesetzt werden, während „Crunches“ unterdessen eine gymnastische Bauchpressübung meint und allen zu empfehlen ist, die endlich mal einen Waschbrettbauch wie Christian Lindner haben wollen. Nach erfolgreichem „Crunching“ kann man dann an einem Christian Lindner-Ähnlichkeitswettbewerb teilnehmen und sich für eine FDP-Wahlplakat-Kampagne in Leopardenmuster-Badehose fotografieren lassen.

Sternstunden des Boulevardjournalismus Wer ein Anhänger von Texten mit einer gepflegten Durchgeknalltheit ist, der delektiere sich regelmäßig an der Kolumne „Post von Wagner“ des Journalisten Franz-Josef Wagner in der BILD-Zeitung, wo dieser nicht davor zurück schreckt, den Fußballer Toni Kroos mit dem Maler Vincent van Gogh zu vergleichen, so in der Ausgabe vom 2.5. 2024. O-Ton Wagner: „Der Pass von Toni Kroos ist ein Kunstwerk. Ein Kunstwerk ist ein Geheimnis für sich. Es beginnt ganz früh… vielleicht schon mit den kleinen Füßchen des Toni Kroos…“ Die Frage, „wie es möglich“ ist, Fußball so spielen, wie Toni Kroos es heute mit seinen seit seiner Kindheit mittlerweile nicht mehr ganz so kleinen Füßchen tut, sei „dumm“, findet Wagner, denn das sei so, als ob man van Gogh gefragt hätte, „wie er die Sonnenblumen malte“. Auf solch einen hanebüchenen Vergleich zwischen fußballerischem Talent und van Goghs Sonnenblumen-Bildern muss man erst einmal kommen, und dann auch noch eine Zeitung finden, die diesen Stuss abdruckt. Chapeau, Herr Wagner, das haben Sie geschafft, ruft Herr Bär neidlos aus. Wo Herr Bär einfach nur die Frage stellen würde, wer heutzutage denn noch allen Ernstes Trainer beim FC Bayern München werden will, wenn er damit rechnen muss, dass ihm der FC-Bayern-Übervater Uli Hoeneß bei der Arbeit dauernd dazwischen quatscht und dann auch noch mitten in der Saison rausgeschmissen zu werden, wenn er, der Trainer, mit seiner schnöselig auftretenden Mannschaft nur den zweiten Platz in der Bundesligatabelle einnimmt, lobt Franz-Josef Wagner die dritte Absage angefragter Übungsleiter, nämlich jene von Ralf Rangnick, der lieber weiterhin die österreichische Nationalmannschaft trainieren will, in der BILD-Ausgabe vom 3.5. 2024 mit den an Ralf Rangnick gerichteten Worten: „Sie sind nicht müde. Sie sind weise. Wie Odysseus haben Sie sich die Ohren verstopft vor den Klängen der Sirenen!“ Auch auf den Vergleich eines Fußballtrainers mit Odysseus muss man erst mal kommen, nochmals Chapeau, Herr Wagner! Allzu bildungsbürgerlich geht es bei BILD ansonsten jedoch nicht zu: Die Meldung „Gorilla-Mama stillt auch Omas Baby“ ist eher eine rührselige Herr-Schmerz-Geschichte für Tierfreunde, während eine Blondine namens Daniela Katzenberger in der gleichen Ausgabe lauthals verkünden darf: „Ich will nicht, das meine Tochter fünf Opas im Jahr hat!“ Einigermaßen metaphernsicher ist immerhin die BILD-Schlagzeile: „Lufthansa nach Dauer-Streik im finanziellen Sinkflug!“ Hoffentlich haben dann alle Lufthansa-Passagiere einen Rettungsschirm dabei, bangt Herr Bär.

Der ganz normale Schönheits-Wahnsinn Eine gewisse Kim Kardashian wurde von der Presse bislang nur als „Reality-Star“, „Kurven-Star“ oder „Influencerin“ apostrophiert, vom „Spiegel“ jüngst aber auch als „Menschmarke“, was Herr Bär ziemlich bescheuert findet. Denn auf https://www.milanoklinik.com/de/plastische-chirurgie-kim-kardashian ist nach zu lesen, dass sie „seit ihrer Jugend viele Schönheitsoperationen hinter sich“ hat, und zwar „von Po-Injektionen bis zu Nasenoperationen, von Silikonen bis zu Implantaten“. Da fragt sich Herr Bär: Was ist hier noch Mensch, und was ist nur noch Marke? „Oh edle Einfalt, stille Größe!“ ruft da Herr Bär als Experte für die Philosophie der Ästhetik mit den Worten von Johann Joachim Winckelmann aus, den in der heutigen flachgeistigen Influencer-Szene aber wahrscheinlich keiner mehr kennt. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass beim Friseurkosten-Ranking der BILD-Zeitung Außenministerin Annalena Barbock „ganz vorne“ liegt, da sie nämlich an manchen Monaten für Frisur und Make Up auf Kosten des Steuerzahlers 11.000 Euro ausgibt. Olaf Scholz kommt in diesem Ranking nur auf 3.000 Euro, und Herr Bär fragt sich, wofür eigentlich? Der Mann hat schließlich eine Pläät, und ansonsten nur zum Nase-Abpudern 3.000 Euro? Wahrscheinlich, damit es bloß nicht heißt: „Die rote Nase im Gesicht hat der vom Möhrenessen nicht“. Denn über Donald Trump berichtet „Der Spiegel“, im Neonlicht habe „Trumps überschminktes Gesicht die Farbe von Blätterteig: die Kopfhaut schimmert durchs fleckige Zuckerwattehaar“. Unserem Bundes-Olaf kann man allerdings nicht nachsagen, seine Gesichtshaut erinnere an Blätterteig, dank besagter 3.000 Euro Monats-Ausgaben für Make Up. Beschließen wir diese Kolumne also  mit einem Appell an die Einhaltung der Schuldenbremse bei Ausgaben für kosmetischen Firlefanz mit einem weiteren Zitat, und zwar diesmal mit einem des rheinischen Zeitgeistkritikers Wicky Junggeburth: „Schön bruchste hück nit us ze sin“ (Schön brauchst du heute nicht auszusehen). Copyright: Bär/Raap 2024

Der Gouverneur von Tennessee verabschiedete ein Gesetz, im Volksmund „Elvis Act“ genannt, das am Beispiel von Elvis Presley „eine Art Urheberrecht auf die Einzigartigkeit der eigenen Stimme, des Gesichts und des Körpers“ garantiert. Es geht um das sogenannte „Voice Cloning“ mittels Künstlicher Intelligenz, also um ein Verbot in Tennessee, dort z.B. in schnöden Werbespots oder unziemlichen Wahlkampfreden einen Text mit der Stimme von Elvis Presley oder meinetwegen auch mit der Stimme von Herrn Bär zu unterlegen und mittels Künstlicher Intelligenz dann neue Elvis-Songs oder Bär-Reden zusammen zu collagieren, die nach Elvis oder Herrn Bär klingen. „Digital Voice Cloning ist im Wesentlichen eine Deepfake-Technik, die verwendet wird, um eine menschliche Stimme zu analysieren und dann zu replizieren. Es basiert auf hochentwickelter künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen und ist so ausgeklügelt, dass die Endergebnisse oft nicht mehr von echten menschlichen Stimmen zu unterscheiden sind“, so die Definition bei „Speechify“. Die satirische Parodie, die man z.B. als Kabarettist mit der eigenen Stimme als Imitation der Stimme von jemand anderem vornimmt, bleibt vom „Elvis Act“ unberührt. Eine juristische Grauzone nach Inkrafttreten dieses Gesetzes könnte allerdings in Memphis, Tennessee, der einstigen Wirkungsstätte von Elvis Presley, künftig das Auftreten der zahlreichen Elvis-Imitatoren sein, wenn sie dazu als Playback eine geklonte Stimme des „King“ benutzen würden. In Köln unterdessen muss sich Johnny Rivers, der dort auf Straßenfesten als der „kölsche Elvis“ auftritt, über derlei Urheberrechtsprobleme keine Sorgen machen: mit seiner Begleitband, die live einen astreinen Rock ’n Roll darbietet, intoniert Johnny Rivers ebenfalls live in einem herrlichen kölschen Englisch die Elvis-Klassiker und ruft nach dem Schlussakkord verschwitzt ins Publikum: „Bevor ich wigger maach, bruch ich jetzt eez en Glas Kölsch“ (Bevor ich weitermache, brauche ich jetzt erst einmal ein Glas Kölsch) – das ist so originell, dass es gewiss auch der Gouverneur von Tennessee als eine eigenständige künstlerische Leistung durchgehen lässt.

Kalauer der Woche Wie heißen die Einwohner von Las Vegas? – Antwort: Las Veganer

Die Fußball-Europameisterschaft naht, und so soll an dieser Stelle von Berti, Klinsi, Hansi und Steini die Rede sein. Dem ehemaligen Bundestrainer Hans-Hubert Vogts bleibt es weiterhin nicht erspart, auch im Alter von 77 Jahren noch „Berti“ gerufen zu werden. Ebenso wurde einer seiner Nachfolger, nämlich Jürgen Klinsmann, zum „Klinsi“ verniedlicht, und ein weiterer Nachfolger, und zwar Hans Flick, künftig auf der Trainerbank des CF Barcelona zu finden, wird auch im stattlichen Alter von 59 Jahren den Kosenamen „Hansi“ nicht los. Immerhin kann der derzeit amtierende Bundestrainer Julian Nagelsmann sich rühmen, dass bislang noch niemand seinen Vornamen zu „Juli“ verhunzt hat, zumal die EM – Achtung, Kalauer! –  ja auch im Juni stattfindet. 

Womit wir dann beim Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier angelangt sind, der auch schon 68 Jahre alt ist, aber von Kabarettisten und Feuilletonisten mitunter dennoch hartnäckig als „Steini“ apostrophiert wird – solche Spitznamen verleihen sonst eigentlich eher nur Quintaner oder Quartaner ihren Klassenkameraden. Der „ZDF-heute show“-Moderator Oliver Welke sprach neulich von Steinmeier gar als  „Unserem Bundes-Uhu“, wobei man nicht so recht weiß, wie Oliver Welke darauf gekommen ist oder derjenige, der ihm seine Moderationstexte schreibt. So fragt Herr Bär sich ratlos, was an einem Uhu denn nun präsidial sein soll. „Der Spiegel“ setzte sogar noch einen drauf und behauptete, als „Steini“ neulich zum Staatsbesuch in Ankara weilte und einen Döner-Spieß aus Gastgeschenk mitbrachte, habe er an selbigem nur „lustlos herumgesäbelt“.

Während in Frankreich wahrscheinlich niemand auf die Idee käme, den dortigen Präsidenten Emmanuel Macron öffentlich als „Emmi“ zu titulieren (wiewohl ihn seine Stiefkinder bei familiären Zusammenkünften immerhin „Manu“ nennen dürfen), gerät bei uns die Gratwanderung zwischen der Einforderung von Respekt und dem Bemühen um neumodische Saloppheit oft genug zum Benimmregel-Desaster. Hier zu Lande kann man als Rentner ja schon froh sein, wenn man von schnöseligen studentischen Aushilfskellnern nur geduzt und nicht auch noch als „alter weißer Mann“, abgekürzt „Weissi“ (nicht „Wessi“) verunglimpft wird, wie sich dies auch „Steini“ anlässlich seiner Wiederwahl für eine zweite Amtszeit 2021 gefallen lassen musste: An die Schlagzeile „Mein Gott, Walter“ fügte das Magazin „Cicero“ nämlich mit gespielter Süffisanz die Frage an: „Aber ist ein alter weißer Mann das richtige Aushängeschild für das von einer Ampel regierte Deutschland?“ Das Intelligenzblatt „Cicero“ hätte anstelle des 68jährigen Steinmeier lieber eine schrille 40jährige als Bundespräsidentin gehabt, die aber dann von Oliver Welke möglicherweise als „Bundes-Eule“ verspottet worden wäre, hätte sie beim Staatsbesuch in Ankara genauso „lustlos“ an einem Döner-Spieß herum gesäbelt. Noch vor einigen Jahren war der Uhu übrigens vom Aussterben bedroht, was der NABU-Naturschutzbund Deutschland in seinem redlichen Bemühen um den Erhalt der Artenvielfalt allerdings gottlob verhinderte. Aber wie steht es biologisch und soziologisch um den Fortbestand der Spezies des alten weißen Mannes (Homo vetus albus)? Darüber sollte vielleicht Herbert Grönemeyer, der ja auch schon ein bisschen in die Jahre gekommen ist, mal einen neuen Song schreiben. Copyright Raap/Bär 2024


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