baer aktuell 351 – 3. August 2025

Bild des Monats August 2025:

Jürgen Raap, „Gerontokraten unter sich“, Öl /Acryl auf Leinwand, 80 x 60 cm, 22. Juli 2025

Lost in Bad Bertrich – ein Schelmenstück für Kassenpatienten von Jürgen Raap / Karl-Josef Bär

Was gibt es über die medizinischen und sonstigen Abenteuer nach einer Hüftoperation zu berichten? Nun ja, die Implantation einer Hüftprothese verlief bei Herrn Bär chirurgisch erfolgreich, und die ersten Schritte nach der OP waren im Kölner St- Franziskus Krankenhaus dank geschickter therapeutischer Unterweisung auch recht vielversprechend, doch als Herr Bär eine Woche später zusammen mit drei Mitpatienten in einem Sammeltransport vom Krankenhaus zur Reha-Klinik in Bad Bertrich gefahren wurde, entpuppte sich der Chauffeur als ein pensionierter raunziger Bundeswehroffizier, der auf der Fahrt erst einmal ausgiebig herum meckerte, dass er so viele Koffer einladen musste; denn nie würde ihm jemand vorher Bescheid sagen, wie viele Koffer die Patienten mitnähmen. So ging es dann weiter. Der kaufmännische Geschäftsführer der Klinik erklärte in seiner Begrüßungsansprache als erstes, man möge sich bei ihm nicht über Dinge beschweren, an denen er selber nichts ändern könne, zum Beispiel dass der Bach so laut plätschert. Das war nicht als Witz gemeint, sondern todernst, und er wollte wohl damit sagen, man solle sich am besten überhaupt nicht bei ihm beschweren. Mit dem angeblich laut plätschernden Bach meinte er den Üßbach, der Bad Bertrich durchfließt, ein Städtchen in der Eifel, durchaus von moselfränkischer Lieblichkeit, das seine Zeiten als mondäner Kurort aber längst hinter sich hat, wie auch so viele andere ehemalige preußische Staatsbäder. An Prominenz nächtigte hier zuletzt 2006 die schweizerische Fußball-Nationalmannschaft. Obwohl die Hüftarthrose-Patienten instruiert wurden, nach der OP ein halbes Jahr lang einen erhöhten Toilettensitz zu benutzen und auf Stühlen mittels Kissenauflage die Sitzfläche ebenfalls zu erhöhen, sind die Zimmer in dieser Orthopädischen Klinik mit erstaunlich niedrigen Betten und extrem weichen Matratzen ausgestattet, von denen man sich frisch operiert nur äusserst mühsam hochstemmen kann, und als Herr Bär den Haustechniker darauf ansprach, meine dieser: „Ich kenne die Matratze in Ihrem Zimmer. Darüber hatte sich nämlich schon der Patient beschwert, der vor Ihnen dieses Zimmer hatte.“ Ein Austausch der Matratze sei freilich nicht möglich; es gäbe nämlich keine anderen, und außerdem dürfe er eigentlich ja gar keine Matratzen schleppen, denn er hätte es selber „im Kreuz“. Ein schönes Beispiel für das Bemühen um Inklusion, wenn sie in einer Orthopädischen Reha-Klinik einen Haustechniker mit Bandscheibenschaden beschäftigen. Wenige Tage, bevor Herr Bär sich im Operationssaal unters Messer begab, wusste die „Süddeutsche Zeitung“ zu berichten, „Die Verpflegung in Krankenhäusern und Pflegeheimen schädigt einer Studie zufolge bisweilen Gesundheit und Umwelt…  Die angebotenen Mahlzeiten seien weder förderlich für die individuelle noch für die planetare Gesundheit“, und Herr Bär, der nun insgesamt vier Wochen Klinikaufenthalt hinter sich hat, kann dies insofern bejahen, als er nahezu Tag für Tag zu allen Speisen fast immer nur dieselbe Bratensauce aus der Instant-Tüte zusammen gerührt vorgesetzt bekam. Als die Patienten einmal zwischen Schweinegulasch und Schweineragout wählen durften, und Herr Bär sich erkundigte, wo denn da der Unterschied wäre, hieß es, Gulasch sei mit dunkler und Ragout mit heller Sauce. Nun ja, immerhin. Auf einem Schild neben dem Speisesaal der Reha-Klinik in Bad Bertrich heißt es, man verwende und serviere dort saisonale Produkte, aber als Beilage gab`s fast immer nur „Marktgemüse“ mit geschrappelten Möhren, Blumenkohl und Brokkoli, mutmaßlich aus der Tiefkühlpackung, als ob es im Erntemonat August auf den Eifeler Märkten nichts anderes an Frischware gäbe. Das Arzt- und Pflegepersonal wurde ihren Namensschildern nach teilweise wohl aus ehemaligen Sowjetrepubliken rekrutiert und übte sich auch in der schönen Eifel in putinesker Muffligkeit. Ihre schlechte Laune paarte sich beim An- und Ausziehen der Patienten, die sich noch nicht bücken durften, mit einer eingeübten mechanisierten betriebswirtschaftlichen Effizienz, mit der man auch eine Getränkeabfüllanlage betreiben kann. Als Herr Bär exakt drei Wochen nach der OP über Atemnot klagte, dachte die post-sowjetische Assistenzärztin zunächst darüber nach, ob vielleicht nur ein wenig Bewegung an der frischen Luft Abhilfe schaffen könnte, besann sich dann aber eines Besseren, denn sie veranlasste eine Untersuchung und schließlich eine Überstellung ins Krankenhaus in Cochem, wo Herr Bär dann eine Woche lang wegen Herz- und Niereninsuffienz gründlich behandelt wurde, bis er endlich wieder zurück nach Köln kam. Die Klinikkost war in Cochem besser; und als Herr Bär zum Mittagessen aus den Menüvorschlägen die regionale Spezialität „Deppekoche“ wählte, strahlte ihn die Pflegerin an: „Ah, Sie sind ein Kenner!“

Bild: Jürgen Raap, „Waldstudie“, Aquarell, 22.8. 2025 

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