bär aktuell nr. 153 – 22. Apr. 2013

Oh, du lieber Augustin, alles ist hin Christian Wulff mag sich in diesen Tagen fühlen wie der Wiener Bänkelsänger Markus Augustin in Dietzenschmids Volkskomödie. „Spiegelonline“ warnt angesichts eines möglicherweise anstehenden Korruptionsprozesses gegen den Ex-Bundespräsidenten vor einer „Show Justiz“ – die mediale Hinrichtung Wullfs ist allerdings schon früher längst erfolgt, nicht zuletzt wegen Wulffs eigener Ungeschicklichkeit mit Drohanruf bei der BILD-Zeitung etc., und nicht zuletzt auch unter der späteren publizistischen Mitwirkung von Noch-Gattin Bettina. Noch muss das Landgericht Hannover entscheiden, ob es die Anklage wegen Bestechlichkeit überhaupt zulässt, weil die Wulffs beim Besuch des Münchener Oktoberfestes sich vom Filmproduzenten Groenewold teilweise aushalten gelassen haben sollen. Nun darf z.B. in Köln ein städtischer Museumsführer keinerlei Trinkgeld annehmen, und wo einst die Müllmänner ein „Neujährchen“ erheischten (d.h. eine kleine Zuwendung zur Entbietung des Neujahrsgrußes an der Haustür), ist auch diese Sitte per Dienstanweisung längst abgeschafft worden. Wenn also der demokratische Grundsatz der Gleichheit aller vor dem Gesetz weiterhin eine Säule unserer Rechtskultur sein soll, kann man nun mal einem Ministerpräsidenten nicht durchgehen lassen, was schon mit weitaus geringeren Summen an Zuwendung oder Vergünstigung den Müllmann um seinen Job bringen würde. Die Mitleids-Heuchelei, die sich medial jetzt genauso über Christian Wulff ergießt wie vor einem Jahr der Shitstorm der Entrüstung von Journalisten und Internet-Bloggern, wirkt in höchstem Maße bigott – sie ist die Kehrseite jener typisch deutschen Rigorosität, mit der man in anderen Fällen auch Leute anprangert, die ihren Müll nicht richtig trennen.
Vom Billigwein zum Eierlikör Großes Gefeixe bei der Initiative Bürger beobachten Peer Steinbrück. Er mutiert nämlich immer mehr zum Verlegenheitskandidaten der SPD, denn der Problem-Peer vergeigt immer noch so ziemlich alles, was man als Spitzenkandidat einer Bundestagswahl eigentlich nur falsch machen kann. Unvergessen ist sein eher läppscher Versuch, durch die deutschen Wohnzimmer zu tingeln und dort das Gespräch mit den Bürgern zu suchen: „Wenn mir Eierlikör angeboten wird, trinke ich einen mit“, hatte Steinbrück vollmundig versprochen. Doch das erste dieser Gespräche fand dann ausgerechnet bei den Eltern einer niedersächsischen SPD-Genossin statt, mithin als „Heimspiel“, und als die Gastgeber auch noch bekundeten „Wir haben extra Eierlikör für Peer Steinbrück gekauft“, kam der Verdacht einer bloß eigens für die Medien inszenierten Veranstaltung auf, die seitdem als „Eierlikörgate“ durch die Gazetten geistert. Dieselbe Familie war nämlich bereits 2009 vom SPD-Funktionär Hubertus Heil für eine ähnliche Aktion besucht worden. Und obwohl die Schulpolitik und mithin ebenso der Schulsport eigentlich Ländersache sind und nicht zur Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers gehören, schwadronierte Steinbrück drauflos, man möge den Turnunterricht an Schulen für Jungen und Mädchen künftig getrennt abhalten: mit dem Eindruck, er knicke vor den prüden Ansichten islamistischer Hardliner ein, gewinnt Steinbrück gewiss keine Wählerstimmen. Selbst Steinbrücks SPD-Parteifreund Heinz Buschkowsky, sonst ebenfalls ein Freund von Worten im Klartext, hält dies für „eine sehr unglückliche Äusserung“ und mahnte stattdessen: „Junge Leute brauchen gesellschaftliche Orientierung“. Ein Schuss in den Ofen war Steinbrücks Vorschlag insofern, weil die Kultusministerkonferenz der Länder schon 1985 beschlossen hat, ab Klasse 5 den Sportunterricht „für Jungen und Mädchen getrennt zu erteilen“ – aus pädagogischer Berücksichtigung der Pubertätsprobleme. Nach all den PR-Desastern funktionierte schließlich auch der alte Trick der Polit-Profis, von Schwierigkeiten im Inneren mit glanzvollen Auslandsbesuchen abzulenken, nicht mehr: als Peer Steinbrück in Paris dem französischen Präsidenten François Hollande seine Aufwartung machte, titelte das Polit-Magazin „Cicero“: „Fettnapf-Kandidat trifft Affären-Präsident“. Kommunikationsforscher sind sich einig: bis zur Bundestagswahl im September 2013 könne keine noch so ausgeklügelte PR-Strategie das Negativ-Image des Spitzenkandidaten korrigieren. Jetzt helfe nur noch das Prinzip „Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich’s völlig ungeniert“. Im SPD-Wahlkampfteam möge man daher darauf vertrauen, dass das Publikum der dauernden Fehltritte von Pannen-Peer allmählich überdrüssig sei und nicht mehr großartig auf weitere Flops achte. Nur die Initiative Bürger beobachten Peer Steinbrück wartet auf die nächste Gelegenheit, sich erneut über den Kandidaten zu beömmeln.
P.S. Das Kultgetränk der 1950er Jahre war ein Cocktail namens „Blonder Engel“. Er bestand zu gleichen Teilen aus Eierlikör und Limonade und wurde später gerne auf FDP-Parteitagen konsumiert, wenn der Champagner ausgegangen war. © Raap/Bär 2013

 

Bitte beachten Sie folgenden Veranstaltungshinweis:
Performance FehltWas?“

im Rahmen des Festivalprogramms „40 Jahre Europastadt Würzburg

Donnerstag, 19. Mai 2013, 20 Uhr, Plastisches Theater Hobbit, Münzstr. 1, Würzburg

Mitwirkende: Performance-Gruppe „FehltWas?“, Köln:

Sigrid Balk, Siglinde Kallnbach, Jürgen Raap, Heidi Reichert

– 40 Jahre/4 Sequenzen: Eine performative Zeitreise durch die Geschichte Europas.

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