bär aktuell 231/232 und Bild des Monats

Bild des Monats Oktober 2017:

Jürgen Raap, „Das Alibi des Geldwechslers“, 2017

Bär aktuell Nr. 231 – 3. Okt. 2017

Die Zeitungssprache schafft es eigentlich nur höchst selten zu belletristischen Höchstleistungen, sondern sie gilt eher als eine angewandte literarische Disziplin, bei der Einfachheit, Klarheit und Verständlichkeit absoluten Vorrang haben vor der Neigung zu poetischen Manierismen. Dennoch bot der „Stern“ in seiner jüngsten Ausgabe zwei schöne Beispiele gelungener Gebrauchslyrik mit den Schlagzeilen „Lindner leuchtet“ und „Selber Schulz“. Während „Lindner leuchtet“ eine griffige Alliteration darstellt und lediglich die Frage aufwirft, wonach er denn leuchtet, nämlich nach Phosphor oder vielleicht doch nach Calciumfluorid, dachte man sich bei der Schlussredaktion des „Stern“, dass das Schulz-Wortspiel eine geistreiche, wenn auch dreiste Entlehnung aus einer „taz“-Ausgabe vom Januar ist, würde wohl keiner merken: doch, Herr Bär hat’s gemerkt.

Schamlosen Ideenklau nennt man in der bildenden Kunst „Appropriation Art“, das hört sich vornehmer an als „abkupfern“ oder „abschreiben“, meint aber dasselbe. – Während Herr Bär Jakob Augsteins Ansicht zustimmt, bei Mutti Merkel habe inzwischen ganz gehörig eine einschläfernde „Verkohlung“ eingesetzt (O-Ton Merkel nach der Bundestagswahl: „Ich kann nicht erkennen, was wir jetzt anders machen müssten“), ist hingegen Herr Bär selbst als bekennender Feminist reichlich irritiert, dass Merkels nunmehrige SPD-Gegenspielerin Andrea Nahles direkt bei ihrem allerersten Auftritt als neue Fraktionschefin in die Rolle einer verbalradikalen Krawallschachtel schlüpfte und mit ihrem „In die Fresse“-Straßenschläger-Jargon ihren Ruf einer Neigung zu hemmungsloser Ruppigkeit gründlich untermauerte. Von einem „Gauland-Niveau“ ist diese Nahles-Rhetorik allerdings noch weit entfernt, denn der AfD-Vize Alexander Gauland ist schon ein ganz anderes Kaliber mit seiner geschichtsrevisionistischen Einstellung, wir müssten stolzer auf die Leistungen deutscher Soldaten in beiden Weltkriegen sein, was im Umkehrschluss nichts anderes heißt, als stolz auf die 60 oder 80 Millionen Kriegstoten zu sein, die man je nach Lesart 1945 zählte. Da schaudert’s einen nur, doch das Schaurige und das Lächerliche liegen oft eng beieinander: bei Alexander Gauland fällt schon auf, dass er bei seinen TV-Auftritten immer dasselbe braune Jackett trägt, in welchem er wie ein verarmter ostelbischer Landjunker wirkt, und Herr Bär fragt sich: soll das Jackett etwa Ausdruck einer bestimmten Gesinnung sein, oder hat der Mann wirklich nichts anderes anzuziehen? Immerhin sahnen Frauke Petry und Alexander Gauland durch ihre Doppelmandate im Bundestag und im Sächsischen bzw. Brandenburgischen Landtag an Diäten und an steuerfreien Aufwandspauschalen kräftig ab, jeder von ihnen rund gerechnet 20.000 bis 23.000 Euro im Monat, aber der Gauland läuft trotzdem herum, als ob er letzte Nacht heimlich die Altkleidersammlung der Caritas geplündert hätte.

Nicht viel eleganter sieht übrigens Kim Jong-un in seinem altmodischen Mao-Blaumann aus. Wer so eine knubbelige Figur und dazu auf Parteitagsreden noch so eine sich überschlagende Kieks-Stimme hat wie er, und wer sich zu allem Überfluss dann noch so eine Scheiß-Frisur zulegt, an den Schläfen Undercut und oben einen schwarzen Bürzel wie ein zerrupfter Handfeger, der muss schon Atomraketen haben, um als Diktator überhaupt ernst genommen zu werden.

In Sachen Gendermainstreaming kursiert in Berlin derzeit eine Broschüre, die in zehn Punkten auflistet, was diskriminierend ist, nämlich u.a. die Darstellung von Frauen als „willensschwach, hysterisch, dumm, unzurechnungsfähig, naiv“. Ein Schelm, wer bei „naiv“ an Kathrin Göring-Eckart und bei „hysterisch“ an die krawallig-burschikose Andrea Nahles denkt und sich damit in seinem Kopf-Kino als politisch und intellektuell unkorrekt erweist. Die FDP, die früher mal den großen Frauen-Versteher Rainer Brüderle in der vordersten Front einer nächtlichen Hotelbar eine weinselige Kegelbrudergesinnung ausleben ließ, findet jedenfalls diese Berliner Gendermainstream-Broschüre insgesamt ziemlich „spießig“. Man ahnt, wie groß die kulturellen Unterschiede in einer möglichen „Jamaika“-Koalition sein mögen, mit den Grünen als eine hypermoralische sauertöpfische Verbots- und Bevormundungspartei auf der einen und den urban-genussfreudigen „Lindner leuchtet“-Liberalen auf der anderen Seite, und dazwischen die biederen krachledernen CSU-Hardliner. Welch skurille oder gar hysterische Auswüchse die reine Lehre der Politische Korrektheit-Ideologie gelegentlich auch hervorzubringen vermag, erweist sich beim Streit um ein Werbeplakat der Berliner Verkehrsgesellschaft BVG, das mit dem Bildnis eines Hundes über die Möglichkeit informiert, Haustiere umsonst mitzunehmen und dies mit dem Slogan erläutert: „Du musst deine Möpse nicht verstecken“. Ein Schelm wer Böses dabei denkt? Allen Ernstes beschwerten sich einige, diese Werbung sei sexistisch, und da musste sogar die zuständige Gleichstellungsbeauftragte die Eiferer zurecht weisen: „Auf dem Plakat ist nur ein Mops zu sehen!“

© Raap/Bär 2017

Essen und Trinken mit Karl-Josef Bär

Gebratener Chicoree

Chicoree der Länge nach aufschneiden, den Strunk keilförmig herausschneiden und den Rest ca. eine halbe Stunde wässern, damit die Bitterstoffe verschwinden. Butter, Thymian und etwas Honig in einer Pfanne kurz aufschäumen, den Chicoree dazulegen und 3 Min. garen, salzen und pfeffern. Dann den Chicoree in eine Auflaufform oder Backform geben, dünne Scheiben Brie- oder Camembertkäse darauf legen und Speckscheiben, den Sud aus der Pfanne darüber verteilen, noch etwas frischen Thymian und 1 Knochlauchzehe dazugeben und bei 200 Grad im Backofen ca. 20 Min, backen, bis der Speck kross ist.

Poireau en vinaigre/Porree in Essig

Poreestücke in kochendem Salzwasser ca. 8 Min. blanchieren. Für die Marinade einen Schöpflöffel von dem Kochwasser in einen separaten Topf geben und zusammen mit Olivenöl oder Butter, etwas Weißweinessig oder hellem Balsamico, 1 kleingehackten Schalotte, 1 gepresseten Knoblauchzehe, 1-2 Lorbeerblättern, etwas Senf, Pfefferkörnern erhitzen, restliches Kochwasser abgießen, Marinade über den Poree gießen, abkühlen und ca. 2 Std. ziehen lassen.

Entenleber in Portwein und Madeira

Speckstücke in einer Pfanne auslassen, 1-2 Schalotten andünsten, Entenleberstücke anbraten, Apfelstücke hinzugeben, mit Portwein und Madeira ablöschen, salzen, pfeffern, gepressten Knoblauch hinzufügen, sowie frischen Majoran und frischen Thymian und etwas geriebene Muskatnuss. Vor dem Servieren mit frischer Kresse bestreuen. Dazu passt Kartoffelpuree.

Pasteten in der Auslage eines Traiteurs in Vernon/Normandie, Foto: S. Kallnbach

 

 

Anti Wildpinkler-Plakat in Vernon/Normandie, Foto: Raap/Bär

Maison du Coucou (Kuckucksuhrenladen), Rouen, Foto: Raap/Bär

Bär aktuell Nr. 232 – 22. Okt. 2017

Bär polyglott-unterwegs mit Herrn Bär Was gibt es Neues aus Frankreich zu berichten? Nun ja, Schwarzwälder Kuckucksuhren kann man dort jetzt auch kaufen, und zwar im „Maison du Coucou“ in Rouen (Normandie), was die Einschätzung von Herrn Bär bestätigt: der Freihandel innerhalb der EU funktioniert tadellos. Aber warum soll jetzt man noch als Einwohner von Rouen in den Schwarzwald reisen, um sich dort eine Kuckucksuhr zu kaufen? Geht diese Freihandels-Entwicklung nicht zu Lasten der Bettenauslastung in der schwarzwäldischen Tourismusindustrie, weil die französischen Urlauber jetzt nämlich lieber zu Hause bleiben, da sie ja auch dort bequem an Kuckucksuhren kommen? Was sagt das Verkehrsamt von Baiersbronn (Schwarzwald) dazu? Und vor allem die FDP, die sich ja schon vor Jahren in Sachen Mövenpick-Hotellerie steuerpolitisch sehr weit aus dem Fenster gelehnt hat? Egal – die französische Küche wurde 2010 von der UNESCO zum immateriellen Weltkulturerbe erklärt, und das gilt zu Recht sogar für die einfache Hausfrauenküche oder Landküche – man kriegt in der Normandie in einer Kleinstadt wie Les Andelys oder Caudebeq schon ein anständiges Drei-Gänge-Menü für 18 bis 25 Euro -im Vergleich dazu ist der Touristenfraß in der Kölner Altstadt einfach fürchterlich überteuert, und das heißt: am besten speist man europaweit immer noch in Frankreich. Dort findet man auch heute noch überall handwerkliche Metzgereien mit regionalen Produkten, die in den einzelnen Landstrichen für alle Bevölkerungsschichten mit ihrem tradierten Qualitätsbewusstsein für gutes Essen selbstverständlich sind, und nicht bloß modisches Hipster-Food für die dekadente Öko-Schickeria wie bei uns. Im Pariser Restaurant „Chartier“, einer ehemaligen Beamtenkantine mit Jugendstildekor, wo die Kellner bisweilen allerdings so rüde auftreten wie kölsche Brauhaus-Köbesse, aber ein Herz und eine Seele sind, wenn man mit ihnen auf französisch parliert und nicht auf englisch, und sich dann auch bereitwillig an Siglinde Kallnbachs Kunstprojekt “ a performancelife“ mit einer Unterschriftenaktion gegen den internationalen Terrorismus beteiligten, kostet die  Gemüse-Tagessuppe als Vorspeise nur sagenhaften 1 Euro.  Hier gönnte sich Herr Bär eine vorzügliche Andouilette, eine Kuttelwurst in Senfsauce, und erklärte einer chinesischen Touristin, wie man in Europa Weinbergschnecken isst (s. Foto). Zur französischen Folklore gehören neuerdings auch allwöchentliche Anti-Macron-Demos – zufällig war Herr Bär in Rouen Zeuge eines solchen Protestzuges mit beeindruckenden 8.000 Teilnehmern. Am Rande der Demo kam Herr Bär in einem Bistro mit einem älteren Herrn ins Gespräch, der bekannte, er habe Emmanuel Macron zum Präsidenten nur deshalb gewählt, um nicht Marine Le Pen vom rechten Front National wählen zu müssen, aber das werde ihm und seiner Familie jetzt nicht gedankt, denn sein Sohn, der Krankenpfleger wäre, müsse sich nun auf gewaltige Gehaltskürzungen im öffentlichen Dienst einstellen. Unter den Demonstranten war auch ein ausgewanderter Deutscher, der seit vielen Jahren an einem Gymnasium in Rouen Deutsch unterrichtet und sich bislang darauf verlassen konnte, dass Lehrer in Frankreich mit 52 Jahren in Pension gehen konnten. Jetzt verlangt Macron freilich von ihm, dass er künftig genauso so lange arbeiten soll wie die Lehrer in Deutschland, und da hätte er ja eigentlich gleich in Deutschland bleiben können. Herrn Bär fiel dazu ein, dass Gerhard Schröder als Bundeskanzler einst die Lehrer als „faule Säcke“ beschimpft hatte, und Emmanuel Macron macht jetzt in Frankreich eine ähnliche Politik wie Schröder damals mit seiner Agenda 2010. In Frankreich verblasst der Macron-Hype der vergangenen Monate daher anscheinend derzeit so rasch wie der Schulz-Hype bei uns, nur mit dem Unterschied, dass Emmanuel Macron clever genug ist, sich nicht einem „Spiegel“-Reporter gegenüber als Jammerlappen zu offenbaren wie Martin Schulz und sich damit aller künftigen Karrierechancen zu berauben, denn in der Politik und auch sonst zählen in einer leistungsorientierten Gesellschaft zynischerweise bekanntlich nur die Siegertypen.

Herr Bär kannte mal einen geheimnisvollen Chemiker aus dem Ruhrgebiet, von dem die einen behaupteten, er sei ein alter Anarchist, die anderen hingegen, er sei ein Lügenbold, Aufschneider und Hochstapler. Wahrscheinlich war er das alles auf einmal. Jedenfalls hatte er eine Theorie über die chemischen Umwandlungen im Verdauungsprozess entwickelt und vertrat die These, der revolutionäre Elan der Franzosen hänge mit der Ernährung zusammen – die schwere deutsche Dampfküche hingegen mache einen eher träge. Dazu muss man allerdings wissen, dass sich die „Cuisine au beurre“ auf Butter-Basis in der Normandie erheblich von der „Cuisine à l’huile“ in der Provence unterscheidet, doch was soll’s. In der jüngsten Ausgabe des Satireblattes „Charlie hebdo“ kriegen sie alle wieder ihr Fett weg, die Papisten, die Salafisten, die katalanischen Nationalisten und die Rechtspopulisten überall in Europa. In Frankreich regt sich auch nicht irgendeine grüne Trulla darüber auf, in „Charlie hebdo“ würde aber die Minderheit der Sprengstoffgürtelträger stigmatisiert. Satire lebt nun mal vom Tabubruch.

Copyright: Bär/Raap 2017

Essen und Trinken mit Herrn Bär

Französischer Selleriesalat Knollensellerie in klein raspeln, salzen, pfeffern. Wenn man will, kann man auch ein paar Apfelstreifen hinzugeben. Man fügt ein paar Spritzer Zitronensaft hinzu, vermengt den Sellerie mit Petersilie und rundet den Salat mit einer Sauce aus einem Joghurt-Remouladengemisch ab.

Poulet à la Normandie Die gesalzenen und gepfefferten Hühnerstücke brät man mit Zwiebeln oder Schalotten in einer Sauteuse in Butter und Öl an, gibt Apfelscheiben und Champignons hinzu und nach etwas 1 Min. etwas Calvados, mit dem man das Ganze flambiert. Dann gibt man 1 Knoblauchzehe, Thymian und ein Lorbeerblatt hinzu, füllt man die Sauteuse mit Wasser auf und lässt es 45 Min. köcheln. Dann nimmt man das Fleisch heraus, stellt es warm, kocht den Sud auf, um die Flüssigkeit zu verringern und bindet die Sauce mit Creme fraiche ab.

Roti de veau à la Normandie In einer gusseisernen Pfanne brät man ein Stück Kalbsbraten von allen Seiten zusammen mit Zwiebeln an, dann salzt und pfeffert man das Fleisch, flambiert es mit Calvados, gibt einen Strang Thymian, 5 Salbeiblätter, noch ein paar Pfefferkörner und Apfelstücke hinzu und übergießt das Ganze mit Cidre und lässt es dann 45 Min. bei kleiner Flamme garen.

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