Baer aktuell 314 – 3. Aug. 2022

Bild des Monats August 2022:

Jürgen Raap, „Kernphysik für Anfänger“, 2022

Bär aktuell 314 – 3. August 2022

Man weiß manchmal nicht so recht, ob die BILD-Zeitung unfreiwillig komisch ist, oder ob die Neigung zur sprachlichen Hanswurstiade bei denen gar redaktionelles Kalkül ist. „Während der Pinkelpause verpisst“ hieß es neulich in einer BILD-Schlagzeile über einen Straftäter, der während eines Gefangenentransports bei einem Stopp zwecks Verrichtung der Notdurft das Weite suchte. Wobei BILD seine Leser auch über Details informierte: der Flüchtige habe erst „die Buxe geöffnet“ und sei dann „ausgebüxt“. Herr Bär fragt sich, was sie in der Redaktion dem Verfasser dieses Textes vorher wohl in den Tee gekippt haben mochten.

Bär polyglott – unterwegs mit Herrn Bär, der sich kürzlich mit dem 9-Euro-Ticket auf eine Abenteuerfahrt mit der DB von Köln-Ehrenfeld nach Düsseldorf Hbf. einließ. Die Fahrt fing zunächst auch gut und pünktlich an, wobei unser Regionalexpress auf dem breiten Schienenstrang vor Köln Hbf. sogar einen gemächlich dahin zuckelnden ICE überholte, der mit dem Slogan „Deutschlands schnellster Klimaschützer“ beschriftet war, was angesichts des gemütlichen Tempos und der notorischen Verspätungen der DB als Witz der Woche durch gehen kann. Dann hielt der überfüllte RE fünf Minuten lang mitten auf der Hohenzollernbrücke, was eine Lautsprecherdurchsage mit „Wir haben kein Einfahrtsignal nach Köln-Deutz; wir bitten um etwas Geduld“ begründete, und wir wurden auf dem Nebengleis von dem schon wieder gemächlich dahin zuckelnden ICE überholt. Eine Station weiter dann wieder fünf Minuten Stop mit der Lautsprecherdurchsage „Wir haben noch keine Ausfahrtgenehmigung aus Köln-Mülheim; wir bitten um Ihr Verständnis“. Bis Düsseldorf-Benrath hatten sich solchermaßen schon mehr als 20 Minuten Verspätung angesammelt, und am Zielort Düsseldorf Hbf. wurden wir mit der Durchsage empfangen: „Weiterreisende nach Wuppertal müssen mit Fahrplanbeeinträchtigungen rechnen“. Fahrplanbeeinträchtigungen: eine sehr schöne Wortschöpfung der DB-Kreativ-Marketingabteilung. Herr Bär erwägt nun ernsthaft die Anschaffung eines Paddelboots, um beim nächsten Ausflug rheinabwärts nach Düsseldorf autark zu sein.

Öffentliches Interesse am Hausmüll von Prominenten gab es auch früher schon. 1974 brachte der Aktionskünstler HA Schult den Hausmüll von Franz Beckenbauer an sich und stellte ihn in München im Museum aus. Jeder wusste nun, welche Joghurtmarke Familie Beckenbauer zum Frühstück bevorzugte. Der Müll wurde zur Kunst. „Als ich den Müll dann für 20 000 DM verkaufen konnte, meldete sich Beckenbauers Manager und wollte vom Erlös die Hälfte. Da habe ich ihm gesagt, dass der Franz den Müll doch weggeworfen habe“, erzählte HA Schult einmal der „Kölnischen Rundschau“. – Unlängst machte sich nun in Potsdam ein Fuchs an der Mülltonne zu schaffen, in welcher Olaf Scholz und seine Gattin ihren privaten Hausmüll entsorgen und verstreute ihn in der Umgebung. Ein Nachbar sammelte den Müll wieder auf und informierte den „Spiegel“, der voller Neugier die Scholz’schen Abfälle begutachtete. „Immer wieder finden sich im Gemeinschaftsmüll Papiere, die Einblicke in das Privat- und Dienstleben des Kanzlerpaares ermöglichen“, stellte das Blatt erstaunt fest (Ausgabe 30/2022). Der Autor dieses „Spiegel“-Artikels heißt übrigens sinnigerweise Christian Schult. Ob aber heute jemand dazu bereit wäre, für die Küchenabfälle von Olaf Scholz 20.000 Euro auszugeben und nun ein munterer Devotionalenhandel mit Scholzens Kartoffelschalen, Hühnerknochen und leeren Milchkartons seinen Aufschwung nimmt, bezweifelt Herr Bär, da Olaf Scholz eben (noch) nicht jene Mischung aus Popularität und kultisch entrückter Ikone verkörpert wie damals Franz Beckenbauer. Und für das Geld kriegt man schließlich bei der Karl-Josef Bär-Gesellschaft jede Menge wertbeständige Olaf Scholz-Sammelbilder.

Herr Bär stutzte neulich über eine Meldung des Kölner „Express“, eine prominente Sambatänzerin habe Farbe auf ihrem Gesäß aufgetragen, damit dann Abdrücke auf einem Blatt Papier hinterlassen, und die Blätter als Kunstwerke an „eingefleischte“ (sic!) Fans verkauft. Das klingt auf den ersten Blick arg nach altbackenem boulevardjournalistischen Altherrenhumor oder nach Kunst auf Ballermann-Niveau, wobei jedoch „eingefleischt“ hier durchaus zutreffend ist. In einschlägigen Handbüchern zur Anatomie ist nämlich nach zu lesen, das menschliche Gesäß bestünde aus Muskeln und Fettpolstern. Laut „Spiegel“ könne man unterdessen eine russische Oligarchengattin anatomisch als „Dame mit überdurchschnittlich voluminösen Lippen“ erkennen. Herr Bär fragte sich, wie man wohl die vegetarischen bzw. veganen Anhänger nennen würde, die diese Sambatänzerin anhimmeln. „Eingefleischt“ träfe hier wohl nicht zu bzw. würde von den notorischen Empörungshysterikern sicherlich als „politisch unkorrekt“ empfunden und mit einem Shitstorm bedacht werden. Vielleicht „eingepflanzt“ ? „Vegane Tanzschuhe“ gibt’s jedenfalls schon, wie auf www.rasenvresser dokumentiert ist. Dort sogar versehen mit dem Hinweis, dass „bei lateinamerikanischen Tänzen bei den Damen die Absätze höher sind“. Aha. Herr Bär mutmaßt allerdings, dass der höher gelegte Fuß im veganen Schuhwerk keinen nachhaltigen Einfluss auf die künstlerische Gestaltung der Gesäßabdrücke hat und daher jegliches Nachsinnen darüber überflüssig ist. Wer hingegen doof genug dazu ist, kann sich anstelle des Körperabdrucks einer Sambatänzerin auch ein Olaf Scholz-Sammelbild an die Wand hängen.

Jürgen Raap, „Der Kanal von Ronqieres“, 2017

Von der Demoskopin Elisabeth Noelle-Neumann stammt die These, „dass medial lautstarke Minderheiten schweigende Mehrheiten einschüchtern und so in der öffentlichen Wahrnehmung die tatsächliche demokratische Meinungsverteilung verschleiern.“ Sie nannte dies „Schweigespirale“. Der Psychologe Walter Jaide beschrieb schon in den 1980er Jahren eine „schweigende Mehrheit“, die sich selbst „nur eine beschränkte politische Kompetenz“ zumisst und sich daher „vielen politischen Fragen“ gegenüber abstinent verhält, weil sie glaubt, dass diese Fragen über „ihre persönliche Reichweite und Verantwortung hinausgehen“. In diesem Sinne haben heute bisweilen die Schreihälse der wutbürgerlichen Empörungsindustrie von rechtsaußen bis linksaußen leichtes Spiel, ihre jeweiligen Minderheitenpositionen aggressiv gegenüber dieser schweigenden Mehrheit zu besetzen. Einerseits konstatieren diverse Journalisten schon seit Jahren einen „Kulturkampf von rechts“, andererseits wird aber bisweilen auch von Linksaußen die akademische Freiheit äusserst radikal attackiert, wenn z.B. – wie jüngst passiert – die Berliner Humboldt-Universität in Berlin (HU) peinlicherweise einen Vortrag der Wissenschaftlerin Marie-Luise Vollbrecht zur Geschlechterdebatte kurzfristig absagt – offiziell aus „Sicherheitsgründen“; de facto aber nach massiven Protesten von sogenannten „Genderideologen“, wie die Berliner „B.Z.“ diese apostrophiert. An dieser Stelle möchte Herr Bär daran erinnern, dass die akademischen Freiheiten, d.h. die Freiheiten des Denkens, Lehrens und Forschens, in der Epoche der Aufklärung zwischen dem späten 17. und dem frühen 19 Jh. gegen den Despotismus der feudalabsolutistischen Herrscher durchgesetzt wurden. Ideologien hingegen führen mit ihren Absolutheitsansprüchen immer nur zu einer intellektuellen Verengung, zu einem geistigen „Tunnelblick“. Doch manche Exzesse in diesem heutigen Kulturkampf haben frappierenderweise sogar einen neo-stalinistischen Charakter, wenn es gilt, die angeblich „reine Lehre“ durchzusetzen (früher hieß es: „Die Partei hat immer recht“) – die erwähnte „Schweigespirale“ macht es ihnen hier zu Lande bei einigen Themen leicht, und manchmal zu leicht, dies allerdings auch einigen unseren europäischen Nachbarn ohne einen historischen Schuldkomplex: dass in der schweizerischen Hauptstadt Bern kürzlich ein Reggae-Konzert der Band „Lauwarm“ abgebrochen wurde, weil weiße Musiker dieses Liedgut anstimmten, welches nach Meinung der Vertreter dieser „reinen Lehre“ nur jamaikanischen Bands vorbehalten sein sollte, ist doch wohl höchst bedenklich. «Wir können nachvollziehen, dass sich gewisse Menschen daran stören», erklärte der Sänger Dominik Plumettaz hinterher. «Aber wir sehen uns als Band, die sich von verschiedenen Kulturen inspirieren lässt.» Sie hätten auch positives Feedback direkt aus Jamaika bekommen; gleichzeitig wehrte sich Band nach diesem Eklat jedoch auch gegen eine Vereinnahmung aus rechtspopulistischen Kreisen. Apropos kulturelle Aneignung: Herr Bär als inter-kulturell aufgeschlossener Berufskölner hätte toleranterweise überhaupt nichts dagegen, wenn in Kingston/Jamaika auf einem Reggae-Konzert eine lokale Band dort einmal „Mer losse d’r Dom en Kölle“ anstimmen würde. Das wäre nämlich lebendiger Kulturaustausch und keineswegs eine unangemessene kulturelle Aneignung kölschen Liedguts in der Karibik. Dass nun ein Kinderbuch „Der junge Winnetou“ nach ähnlichen Protesten vom Verlag freiwillig indiziert wird, zeugt von literaturhistorischer Unkenntnis: Figuren und Handlungen bei Karl May sind bekanntlich reine Phantasieprodukte und kein Abbild bzw. keine Adaption des realen Wilden Westens im 19. Jh. – von kultureller Aneignung kann bei reinen Fantasy-Fiktionen (Pleonasmus, sic!) keine Rede sein: ein „Yedi-Ritter“ als Comic- oder Computerspielfigur hat auch nichts mit einem realen Ritter des europäischen Mittelalters gemein. Im übrigen gibt es kein kollektives Urheberrecht für kulturelles Allgemeingut oder einen Teil des Weltkulturerbes, sondern einen Marken- und Gebrauchsmusterschutz immer nur für individuelle kreative (Designer)-Leistungen. © Raap/Bär 2022

Olaf Scholz-Sammelbilder

Olaf Scholz-Sammelbild no. 19, Copyright Raap/Bär 2022

Olaf Scholz-Sammlebild No. 17, Copyright Raap/Bär 2022

Öffentliches Interesse am Hausmüll von Prominenten gab es auch früher schon. 1974 brachte der Aktionskünstler HA Schult den Hausmüll von Franz Beckenbauer an sich und stellte ihn in München im Museum aus. Jeder wusste nun, welche Joghurtmarke Familie Beckenbauer zum Frühstück bevorzugte. „Als ich den Müll dann für 20 000 DM verkaufen konnte, meldete sich Beckenbauers Manager und wollte vom Erlös die Hälfte. Da habe ich ihm gesagt, dass der Franz den Müll doch weggeworfen habe“, erzählte HA Schult einmal der „Kölnischen Rundschau“. – Unlängst machte sich nun in Potsdam ein Fuchs an der Mülltonne zu schaffen, in welcher Olaf Scholz und seine Gattin ihren privaten Hausmüll entsorgen und verstreute ihn in der Umgebung. Ein Nachbar sammelte den Müll wieder auf und informierte den „Spiegel“, der voller Neugier die Scholz’schen Abfälle begutachtete. „Immer wieder finden sich im Gemeinschaftsmüll Papiere, die Einblicke in das Privat- und Dienstleben des Kanzlerpaares ermöglichen“, stellte das Blatt erstaunt fest (Ausgabe 30/2022). Der Autor dieses „Spiegel“-Artikels heißt übrigens sinnigerweise Christian Schult. Ob aber heute jemand dazu bereit wäre, für die Küchenabfälle von Olaf Scholz 20.000 Euro auszugeben und nun ein munterer Devotionalenhandel mit Scholzens Kartoffelschalen, Hühnerknochen und leeren Milchkartons seinen Aufschwung nimmt, bezweifelt Herr Bär, da Olaf Scholz eben (noch) nicht jene Mischung aus Popularität und kultisch entrückter Ikone verkörpert wie damals Franz Beckenbauer. Und das Geld kriegt man schließlich bei der Karl-Josef Bär-Gesellschaft jede Menge wertbeständige Olaf Scholz-Sammelbilder.

Olaf Scholz Sammelbild no. 18
Olaf Scholz-Sammelbild no. 20

v.i.S.d.P. Jürgen Raap, Senefelderstr. 5, 50825 Köln

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