Archive for Mai, 2012

baer aktuell 137/138

Montag, Mai 28th, 2012

 

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Copyright Karl-Josef Bär/Jürgen Raap 2012

Bär aktuell Nr. 137/138  www.karljosefbaer.kallnbach.de   3. Juni 2012

Früher hatten die Päpste die Deutungshoheit über die Kunst. So legte z.B. Papst Clemens XII. im Jahre 1732 die Zahl der Kreuzwegstationen auf 14 fest, und seitdem beschränkt sich auch die Anzahl der Bilder in Kirchenräumen, die die Passionsgeschichte verbildlichen, auf vierzehn Darstellungen. In Kassel hingegen bestimmen heute der documenta-Geschäftsführer Bernd Leifeld und die künstlerische Leiterin Carolyn Christov-Bakargiev, was während der documenta im Sommer 2012 in den lokalen Kirchen an Kunst gezeigt werden darf, nämlich am besten nichts bzw. höchstens nur das, was mit dem Kunstverständnis der documenta-Leiterin konform geht. So beklagten sich Leifeld und Christov-Bakargiev über eine Skulptur des Künstlers Stefan Balkenhol auf dem Turm der St. Elisabeth-Kirche am Kasseler Friedrichsplatz. Das Werk störe „erheblich“, die documenta-Leiterin fühle sich durch das Werk gar „bedroht“.  Hm, hm, wieso kann der Anblick solch eines harmlosen Kunstwerkes eine Bedrohung auslösen? Bedroht wird man durch Bombenleger oder Straßenräuber, aber doch nicht durch eine Skulptur auf einem Kirchturm! Da hat der Herr Leifeld sich hinsichtlich des semantischen Bedeutungsgehalts wohl ein wenig in der Wortwahl vergriffen. Die evangelische Kirche gab dem Druck der documenta-Leitung nach und beugte sich den Zensurmaßnahmen – eine Installation von Gregor Schneider wurde abgesagt. Die katholische Konkurrenz hingegen blieb standhaft und zog ihre Stefan Balkenhol-Ausstellung durch, was der documenta-Geschäftsführer mit seinen päpstlichen Allüren und als Freund starker Worte wiederum „respektlos“ findet. Wieso sollen Künstler, die nicht zum offiziellen Programm der documenta gehören, dieser Veranstaltung Respekt zollen und auf eine Ausstellung ihrer Werke an einem anderen Ort in Kassel verzichten? Das wäre ja so, als würde z.B. der Bäcker Merzenich von der Konkurrenz der „Backwerk“-Kette den Respekt einfordern, auf den Verkauf von Brötchen zu verzichten. Während in diesem Falle die liberalen Wettbewerbsfetischisten sofort aufschreien würden, die freie Marktwirtschaft sei in Gefahr, hört man von den Parteigängern dieser Ideologie nichts über die Freiheit der Kunst. Und wem gehört der öffentliche Raum der Stadt? Immerhin geht es hier nicht darum, ob ein Bierbus mit grölenden Junggesellenabschiedsfeierinsassen während der documenta imageschädigend durch Kassel kurven dürfte, sondern um einen künstlerischen Richtungsstreit: man sagt der documenta-Leiterin Carolyn Christov-Bakargiev nämlich eine Aversion gegenüber figurativer Kunst nach; zumindest tut dies Veit Görner, Leiter der Hannoveraner Kestner-Gesellschaft, der der documenta-Kuratorin „Größenwahn“ unterstellt und es für „unverzeihlich dumm“ hält, dass sie meine, „sie müsse alles abräumen, was figürlich ist“.

Veit Görner wiederum ist an einer Veranstaltung beteiligt, die sich „Made in Germany“ nennt, zeitlich parallel in Hannover diverse Kunstorte bespielt und deswegen als Konkurrenzveranstaltung zur documenta gilt, und dies eben auch im Buhlen um Besucherzahlen, so dass Görners harsche Erwiderung durchaus als Beitrag zum marktwirtschaftlichen Wettbewerb gelten kann, wie auch sonst der ganze verbale Streit um die Deutungshoheit der Kunst in Kassel von denen, die ihn angezettelt haben, gut getimt ist, rechtzeitig vor der Eröffnung der documenta und vor dem Beginn der Fußball-Europameisterschaft am gleichen Juni-Wochenende: denn wer interessiert sich noch für die Freiheit der Kunst in Kassel, wenn erst mal in der fernen Ukraine die geschossenen Tor bejubelt werden?

Sie wolle auf der documenta „wirtschaftskritische Kunst“ zeigen, hatte Carolyn Christov-Bakargiev angekündigt. Bildnerische Attacken auf den neoliberalen Heuschreckenkapitalismus kann man a priori ja nur gutheißen, aber wer sich als kuratorischer Trittbrettfahrer an die Occupy-Bewegung anhängt, der sollte dann bloß nicht verlangen, dass Stefan Balkenhol seiner Skulptur ein Josef-Ackermann-Geldtäschchen umhängt, damit sie als „wirtschaftskritisch“ gelten kann. Was nun in diesem Zusammenhang die Bigotterie des Ganzen angeht, so ging es vielleicht dem documenta-Gründer Prof. Arnold Bode in den 1950er und 1960er Jahren noch wirklich um die Kunst und um ihre Freiheit, nach den Verfolgungen in der Nazizeit, denn auch der Künstler Arnold Bode hatte in der NS-Zeit Berufsverbot und musste sich als technischer Zeichner im Architekturbüro seines Bruders durchschlagen, und mit der documenta-Ausstellung wollte er seinen Zeitgenossen die vor 1945 in Deutschland verfemte Moderne nahe bringen, während es heute dem Stadtkämmerer im Kasseler Rathaus vor allem um die Gewerbesteuereinnahmen geht, die die wirtschaftlichen Sekundäreffekte des Spektakels mit sich bringen. Denn blieben solche refinanzierenden Steuereinnahmen aus, würden weder die Stadt Kassel noch das Land Hessen die documenta mit ihrer „wirtschaftskritischen“ Kunst finanzieren. Auch bei diesem Knatsch, der zum Richtungsstreit über non-figurative und figurative Kunst hochgejubelt wurde, werden also letztlich wieder die Krämerseelen über die Ästheten triumphieren.

 © Bär/Raap 2012

 

In Pulheim darf die „KG Ahl Häre“ (Alte Herren) im kommenden Jahr den Prinz Karneval stellen. Der designierte Prinz namens Harald Müller ist pikanterweise Hausmeister in einem Kölner Großbordell und ließ beim närrischen Volk erst gar keine Zweifel an seiner Seriosität aufkommen: er sei in der Bordellkaserne für „Umbauten und Technik“ zuständig und organisiere „das Golfturnier“; aus dem „operativen Geschäft“ halte er sich jedoch heraus. Bei den „Ahl Häre“ herrscht jetzt schon eitel Freude: Prinz Harald kündigte nämlich an, im Laufe der Session mit seinem Gefolge auch die Tabledance-Bar des Puffs aufzusuchen: „Das ganze Regiment kommt vorbei“.                                                                          © Bär/Raap 2012

 

Bärs Bestatterkritik Was tut sich Neues in der Kölner Bestatterszene? Nicht ganz auf der Höhe der Zeit befindet sich derzeit das „Bestattungshaus Pilartz“, das sich zwar rühmen darf, seit 1864 alle Kölner Erzbischöfe unter die Erde gebracht zu haben, aber auf seiner Internetseite unter der Rubrik „Aktuelle Veranstaltungen“ im Mai 2012 immer noch darüber informiert, dass im November 2011 im Ballhaus Wolkenburg ein „Fest für alle Sinne“ mit dem Titel „lebensart boulevard“ ausgerichtet wurde. Unter den „besten Adressen aus den Bereichen Mode, Wohnen und Kulinarik“ war auch das Bestattungshaus Pilartz mit einem Informationsstrand zum Thema „Vorsorge“ vertreten. Aber wer will das ein halbes Jahr später noch wissen? Rührig wie immer ist auch der Bestatterkollege Christoph Kuckelkorn. Er ließ kürzlich die Kabarettistin Emma Boos „amüsante Geschichten“ auf kölsch vortragen, die mit „Lück sin och Minsche un Dummheit is och en Gabe Gottes“ überschrieben waren. Anschließend lud Kuckelkorn noch „zu einem Umtrunk in unsere neuen Geschäftsräume“ in Köln-Brück ein. Aus der Schaufensterdekoration an der innerstädtischen Zentrale seines Bestatter-Imperiums ist der legendäre „Jackenengel“ mittlerweile verschwunden. Die „lebensfrohen Fotografien“ von Joachim Rieger im Schaufenster sind mit Texten von Rainer Maria Rilke kombiniert, über den bei Wikipedia nachzulesen ist, ausgerechnet Sigmund Freud habe über ihn behauptet, Rilke sei ein „im Leben ziemlich hilfloser Dichter“ gewesen. Passt Rilke allein schon deswegen ins Schaufenster eines Beerdigungsinstituts? Weiter heißt es bei Wikipedia, Rilke sei „für ein bürgerliches und ortsgebundenes Familienleben nicht geeignet“ gewesen, und so mag man nun glauben, dem Bestatter Kuckelkorn und dem Fotografen Rieger ginge es darum, das Schaufenster von einem Hauch unbürgerlicher Künstler-Bohème in Form von Rilke-Zitaten durchwehen zu lassen. Unterdessen bot in der Trauerakademie von Fritz Roth die Schlagersängerin Katja Ebstein einen Liederreigen unter dem für eine Trauerakademie recht passenden Leitmotiv „Na und, wir leben noch“ dar. Für den 31. Mai 2012 ist im Bestattungshaus Pütz-Roth auch noch ein „Karl Valentin-Abend“ mit Martin Müller-Reisinger angekündigt, und für den 9. Juni 2012 schließlich eine „Tagesfahrt mit Fritz Roth nach Schloss Anholt und Umgebung“, und dies „im komfortablen Reisebus“. Über die „kölsche Weihnacht 2012“ mit der Karnevalsband „Die Paveier“ meldet Fritz Roth allerdings, sie sei jetzt im Mai 2012 schon ausverkauft. Wer innerhalb des Veranstaltungsangebots der Kölner Bestatterszene dringend nach einer unterhaltungskulturellen Alternative für die Adventszeit sucht, der hofft, dass Konkurrent Pilartz bis dahin seine Internetseite aktualisiert hat.

 © Bär/Raap 2012