Archive for Dezember, 2015

bär aktuell 193 und Bild des Monats

Mittwoch, Dezember 2nd, 2015

 

Bild des Monats Dezember 2015:

Jürgen Raap, „Unter Stuttgarter Rebellen“, 2015

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Bär aktuell Nr. 193 – 22. Dezember 2015:

Deppen-Ranking Die Liste der Fehlleistungen des Jahres führt diesmal der Fußballfunktionär Sepp Blatter an. Als der britische Komiker Simon Brodkin auf der Sitzung des Fußballverbandes FIFA Dollarscheine auf Blatter regnen ließ, raunzte dieser, das habe nichts mit Fußball zu tun. Nein, mit Fußball nicht, aber mit Korruption. Aber das hat Blatter bis heute nicht verstanden. Brodkin erzählte später, das seien echte Dollarscheine gewesen, aus seinem Privatvermögen, und die schweizerische Polizei hätte ihm hinterher die gesamten 600 Dollar zurück gegeben, was ihm die Gewissheit vermittelt habe, die FIFA mag vielleicht korrupt sein, aber keinesfalls die Schweizer Polizei.
Die Selbstüberschätzung mancher Krimineller, man werde schon nicht erwischt, mündet im Alltag oft genug in Dummheit und Unzulänglichkeit. Überschätzt hat man auch bei Volkswagen die eigene Ingenieurskunst bei der Konstruktion einer Schummelsoftware, so dass man schließlich doch erwischt wurde und angesichts des milliardenschweren (Image)schadens für den Spott nicht zu sorgen braucht (Platz 2) und nur knapp daran vorbeischrammte, dass „Lügeldiesel“ zum „Wort des Jahres“ gewählt wurde. Ebenfalls nicht gut durchdacht hatte auch der Rewe-Erpresser seine Untat, als er sich ausgerechnet von seiner Mutter im Auto zur Lösegeldübergabe chauffieren ließ und nach seiner Festnahme der Polizei kleinlaut erklärte, er hätte doch kein eigenes Auto und daher nicht gewusst, wie er sonst zum Übergabeort hätte hinkommen sollen (Platz 3). Der Berliner „Tagesspiegel“ hatte schon vor einem Jahr den Trend beobachtet: „Der Mangel an qualifiziertem Nachwuchs verschärft sich auch unter Ganoven.“
Laut einer Umfrage hält nur ein Drittel der SPD-Parteimitglieder Sigmar Gabriel für einen geeigneten Kanzlerkandidaten. Da man bei Wirtschaftsminister Gabriel befürchten muss, er ließe sich bei den Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen von den USA und bei der „Energiewende“ von den Stromkonzernen gehörig über den Tisch ziehen, gebührt ihm Platz 4, und Herr Bär teilt die Einschätzung der übrigen zwei Drittel der SPD-Mitglieder (politisch korrekt, aber grammatisch falsch: Mitglieder und Mitgliederinnen).
Platz 5 hingegen ist für Boris Becker reserviert, der in einer TV-Sendung erwähnte, wie er mal Sex im Flugzeug hatte. Ach, Bobele, das will aber nun wirklich keiner wissen. Und Platz 6 verdiente sich der betrunkene Fahrraddieb, der sich hinter einer Mülltonne versteckte und dann den Polizisten, die ihn dort entdeckten, entgegen lallte, er verstecke sich nicht, sondern er „chille nur ab“.
Auf Platz 7 treffen wir den NRW-Innenminister Ralf Jäger an, der ein Polizeiorchester unterhält, in welchem aber gar keine Polizisten mitspielen, sondern nur als Polizisten verkleidete Musiker. Während andere Landespolizeiorchester mit 13 Trötemännern auskommen, blasen bei Jäger allerdings gleich 45 Musiker ins Horn, was der Landesrechnungshof als Verschwendung von Steuergeldern monierte.
Platz 8 gebührt jenen zwei Volldeppen, die in Düsseldorf einen Touristen ausraubten, von sich dann am Tatort ein „Selfie“ machten und das Handy mit dem Foto am Tatort zurück ließen. Platz 9 nimmt unterdessen jener völlig verschnarchte Jüngling ein, der zur Kölner Oberbürgermeisterwahl ohne Wahlbenachrichtigung und ohne Personalausweis im Wahllokal erschien. Als der Wahlhelfer seinen Namen nicht in der Einwohnerliste des Wahlbezirks fand und ihn fragte, wo er denn wohnen würde, erklärte der völlig verpeilte Jüngling, das wisse er nicht so genau, jedenfalls „irgendwo in der Nähe des Ehrenfeldgürtels“, aber er sei erst kürzlich dorthin gezogen und könne sich noch nicht die Adresse merken.
Lange überlegte Herr Bär, ob dem DFB-Vorsitzenden Wolfgang Niersbach ein Sonderpreis gebührt oder nur Platz 10 für sein hilfloses Gestottere auf jener legendären Pressekonferenz, als Niersbach erklären sollte, was eigentlich aus den 6,7 Mill. Euro geworden ist, die der DFB an den Fußballverband FIFA überwies für ein Kulturprogramm, das nie stattfand. Allein schon diese versemmelte Pressekonferenz veranlasste die Zeitungskommentatoren zu der Einschätzung, nach der Deutschen Bank, Siemens, dem ADAC und VW habe nun auch der DFB als die letzte große Säule siegfriedianisch-teutonischer Rechtschaffenschaft an Glaubwürdigkeit verloren, und im Ausland glaube man nun, in den Vorstandsetagen deutscher Banken und Industriekonzerne und im Funktionärswesen ginge es bisweilen so tückisch zu wie bei levantinischen Hütchenspielern.
© Raap/Bär 2015

bär aktuell 192

Mittwoch, Dezember 2nd, 2015

napotheaterplakat  teller fischsuppe 69 euro

Bär polyglott – unterwegs mit Herrn Bär Neapel sehen und sterben? Letzteres wohl lieber nicht, findet Herr Bär, der beim Landgang von einem Kreuzfahrtschiff angenehm überrascht ist, dass das Erscheinungsbild der Stadt seit dem letzten Besuch vor 35 Jahren an Sauberkeit deutlich gewonnen hat, weil nämlich die Neapolitaner ihren Müll inzwischen in einer überdimensionierten Müllverbrennungsanlage in Köln entsorgen. Köln wiederum hält sich auch für eine mediterrane Stadt, was man dort damit unter Beweis stellt, indem man beim Grillen im Kölner Grüngürtel die abgenagten Hühnerknochen und zerdrückten Bierdosen achtlos auf der Liegewiese zurück lässt, weil man das für mediterrane Nonchalance hält, was aber wiederum in den Parks von Neapel kein Mensch macht, und auch der Hausmüll wird überall in Italien ordentlich getrennt. Die skandalösen korrumptiven Begleitumstände, mit denen damals Kölner Lokalpolitiker bei der Müllindustrie „Danke schön“-Spenden für den Bau der Müllverbrennungsanlage einsammelten, damit auch der Müll von Neapel mit entsorgt werden kann, lassen den mutmaßlichen Versuch des Fußballbundes DFB, sich mit 6,7 Mill. Euro den Zuschlag zur Austragung einer Fußball-WM zu erschleichen, als Dummer Jungen-Streich erscheinen. In Neapel herrscht derzeit rege Bautätigkeit, überall wird mit dem Presslufthammer gerattert, auch ansonsten geklotzt und gekleckert, aber auf neapolitanische Bauunternehmer ist durchaus Verlass: die werden mit ihren Bauvorhaben schneller fertig als der Berliner Mehdorn-Flughafen oder die ebenfalls höchst dilletantische Sanierung der Kölner Oper.
Auslandsreisen sind also generell zu empfehlen, um Vorurteile und folkloristisch verbrämte Klischeevorstellungen über andere Länder und andere Völker abzubauen, zumal auf einem 300 Meter langen Kreuzfahrtschiff, wo Passagiere und Besatzung aus 60 verschiedenen Nationen auf engem Raum nur gut miteinander auskommen, wenn sie gelernt haben, tolerant und freimütig miteinander umzugehen. Der kubanische Mit-Passagier schwärmt von unserer Bundeskanzlerin („Oh, we all love Mrs. Merkel, she has such a great heart“), und der indonesische Steward erzählt uns, wie er auf Bali das Niederbrennen hinduistischer Tempel durch islamistische Dschihadisten mit erlebt hat. Die Getränke, die man bei 20 Grad C plus im November auf dem Sonnendeck mit Blick auf Sardinien oder die Küste vor Cannes verzehrt, werden am letzten Reisetag in US-Dollar abgerechnet, und Herr Bär hofft nun, dass bis zum Tag der Lastschrift auf der Kreditkarte der Euro-Kurs sinkt und die Zeche dadurch noch etwas billiger wird – man muss gegenüber Währungsspekulanten auch mal Milde walten lassen. Und noch ein Vorurteil gilt es zu revidieren: amerikanisches Heineken-Bier schmeckt eigenartiger Weise doch besser als das holländische Original-Gebräu. Dass sie einem kalifornischen Rotwein das Etikett „Chateau St. Jean“ verpasst haben, hat allerdings eher etwas mit Illusion als mit französischem Winzerhandwerk zu tun.
Das Highlight in der Kathedrale von Civitavecchia ist ein gläserner Reliquienschein mit einem Oberschenkelknochen vom Hl. Vincenz, und am Strand von Livorno kann man den örtlichen Fischern zuschauen, wie sie den Rogen aus dem Inneren der Seeigel für einen köstlichen Sugo auskratzen (Rezept s. unten). Wer auf einem Kreuzfahrtschiff zum „Captain’s Dinner“ oder „Officer’s Dinner“ mit einem Schiffsoffizier eingeladen wird, sollte unbedingt die Kleiderordnung beachten. Verpönt sind bauchnabelfreie Oberbekleidung bei den Damen und zerrissene Jeans oder Badelatschen bei den Herrn, wie die Instruktion auflistet. Angesagt ist stattdessen „Cruise Casual“ oder „Smart Casual“, also jene lässige Eleganz, in der Herr Bär seit eh und je immer eine gute Figur macht. Der Theaterabend mit einem Musical wird als „nicht jugendfrei“ und als mögliche „Verletzung von Gefühlen“ angekündigt, bloß weil in dem absolut harmlosen Stück die meisten Schauspieler im Travestie-Kostüm auftreten, was dem überall zunehmendem Puritanismus konservativer Hardliner und dem ebenfalls bedenklichen Muckertum ängstlicher Gutmenschen geschuldet ist, bloß ja keinem auf den Schlips zu treten, der sich durch eine Federboa provoziert fühlen mg.
Wie man in Cannes den Schönen und Reichen das Geld aus der Tasche lockt, wissen die Cuisiniers in den Nobel-Hotels, wo ein Teller Fischsuppe 69 Euro kostet, und wo aber selbst Rolls Royce-Besitzer beim rituellen Vorfahren am Hoteleingang sich einen Sicherheitsheck mit gründlichem Blick in den Kofferraum gefallen lassen müssen. Derweil halten saudi-arabische Grundstücksmakler in einer architektonisch gründlich misslungenen Event-Halle am Strand eine Immobilienmesse ab, unter deren Besuchern man allerdings hemdsärmelig herumpolternde neapolitanische Bauunternehmer und jovial grinsende Kölner Müllbarone als Besucher freilich weitgehend vermisst. Dabei gäbe es in der südfranzösischen Hafenstadt durchaus viel abzureißen und neu zu bauen, denn außerhalb der Altstadt wirkt Cannes an einigen Ecken baulich manchmal doch eher wie ein plattenbauähnliches Köln-Chorweiler für Millionäre.
© Raap/Bär 2015

Essen und Trinken mit Karl-Josef Bär
Risotto oder Spaghetti al Riccio di Mare (Seeigel) nach Art der Fischer von Livorno
Bisweilen kann man direkt am Strand von Livorno beobachten, wie die Fischer dort an der kleinen Öffnung der Seeigel rundum einen Deckel abschneiden, den rosaroten Rogen mit einem Löffel heraus holen und in ein Glas geben. Man vermischt den Inhalt mit Zitronensaft, und stellt diese Basis für den Sugo erst mal eine Weile kalt. Man bereitet Spaghetti oder Risotto separat zu. Die Sauce wird in einer Kasserole angerührt, indem man in erhitztem Olivenöl die Seeigelmasse, 1 paar Fischstückchen vom Stöcker oder von kleinen Rotbarben, bei Bedarf auch kleine weiße Muscheln, Zwiebeln, Knobloch und kleine grüne Paprikastücke andünstet – man kann auch 1 frische grüne Peperonischote 30 Sek. lang mitdünsten (aber nicht länger, sonst wird der Sugo zu scharf), dazu ein Paar Spritzer Zitronensaft. Mit Fischfonds auffüllen, bei Bedarf auch einen Schuss Weißwein hinzugeben, 2 Tomaten mit köcheln lassen, dann mit Sahne, Salz, ein paar Rosmarinblättern und Kukurma abschmecken. Zur Abrundung dann noch Bottarga di Muggine: das ist Rogen von der Meeräsche, vom Thunfisch oder auch Schwertfisch, den man in Italien auf den Märkten getrocknet und gesalzen kaufen kann und dann zu Hause beim Servieren fein über diesem Sugo zu der Pasta oder dem Risotto verreibt.