Archive for Januar, 2023

baer aktuell 319 – 22. Jan. 2023

Montag, Januar 2nd, 2023

Bild des Monats Januar 2023: Jürgen Raap, „Heimat, wo sind Deine Sterne?“, Acryl/Öl auf Leinwand, 2022

Jürgen Raap, „Heimat, wo sind Deine Sterne?“, 2022

Olaf Scholz-Sammelbilder

Olaf Scholz Sammelbild no. 33
Olaf Scholz Sammelbild No. 32

Bär aktuell 319 – 22. Jan. 2023

Ja, was denn nun ? Während „Der Spiegel“ in seiner Neujahrsausgabe auf der Titelseite orakelte, Karl Marx habe womöglich doch recht gehabt und lamentierte, „Der klassische Kapitalismus funktioniert nicht mehr“, da frohlockte ausgerechnet hingegen die „BILD“-Zeitung“, die „Reichen“ hätten jüngst „reichlich“ an Vermögen eingebüßt, z.B. Elon Musk, der sich unlängst 44 Milliarden Dollar gönnte, um das Schwaadlappen-Portal „Twitter“ zu ruinieren. Zur Behebung der finanziellen Schlagseite bei „Twitter“ meldete „Der Stern“ betriebswirtschaftlich rigorose Eingriffe Musks mit freilich olfaktorischer Bedenklichkeit: „Twitter müffelt. Hausmeister gekündigt, Toilettenpapier fehlt“. Nun ja, dass man als Angestellter in die Firma sein eigenes Klopapier mitbringen muss, mag man tatsächlich als ein Indiz für eine Krise des Kapitalismus werten, da dieser sich augenscheinlich und unerwartet an eine sozialistische Mangelwirtschaft annähert. Herr Bär erinnert sich noch gut an die Sitten in manchen Ostblock-Ländern in den 1980er Jahren, als auf dem Abort von Hotel-Restaurants der Toilettenmann pro Gast gewissenhaft lediglich zwei Blatt Klopapier abzählte und nur gegen Westgeld zu bewegen war, noch ein paar Blätter mehr heraus zu rücken.

Auch das noch: Der Skandalsender RBB hatte Silvester um einen vollen Tag vorverlegt und schon am 30. Dezember den Countdown zum Jahreswechsel ausgestrahlt. Erklärt wurde der eigenwillige Neujahrsgruß anschließend mit einer „technischen Panne“. Wahrscheinlich stellen sie im RBB-Sendegebiet ab dem 2. Januar auch schon Schokoladen-Osterhasen in die Schaufenster, um auch damit die ersten sein zu wollen.

Reichlich durchgeknallt im wahrsten Sinne des Wortes inszenierte die Verteidigungsministerin Christine Lamprecht ihre private Video-Botschaft an Silvester mit Raketen, Krachern und Böllern im Hintergrund und schilderte dabei ihre Eindrücke vom Krieg in der Ukraine. Ein Puma-Panzer stand wegen „technischer Panne“ für stilechtes Geknattere anscheinend nicht zur Verfügung. Aber auch so geriet der Videoauftritt zu einer riesigen Peinlichkeit. Olaf Scholz sieht das wohl anders, hatte er doch erst kürzlich befunden: „Die Bundeswehr hat eine erstklassige Verteidigungsministerin“.

Boulevardjournalisten und Verschwörungstheoretiker denken gleichermaßen Tatsachen zusammen, die eigentlich nicht zusammen gehören. So berichtete die BILD-Zeitung jüngst über eine ehemalige Porno-Darstellerin, sie habe sich bei den Dreharbeiten intellektuell unterfordert gefühlt und diese deswegen aufgegeben. Erwähnt wird in dem Blatt gleichzeitig aber auch, sie habe unlängst einen FDP-Politiker geheiratet, was sich wohl bizarr anhören soll. Beides, die berufliche Vergangenheit und die heutige Vorliebe für Liberalismus, haben jedoch nichts miteinander zu tun. Aber über eine Ex-Pornodarstellerin, die keinen FDP-Politiker geheiratet hat, würde ein Boulevardblatt nichts berichten, denn das hätte ja keinen News-Wert. Doch nur Verschwörungstheoretiker würden jetzt unzulässigerweise behaupten, gerade FDP-Politiker seien die idealen Heiratskandidaten für intellektuell unterforderte Ex-Schauspielerinnen in Filmen für Erwachsene.

Prinz Frederic von Anhalt verdanken wir den Hinweis, dass die Amerikaner ganz jeck darauf sind, die Nähe zum europäischen Hochadel zu suchen, in Ermangelung eigener Adeliger. Und so mochte sich eine amerikanische Schauspielerin als Aschenputtel gefühlt haben, bis sie endlich auf einen Frosch traf, den sie wach küssen durfte, und der sich dann aber ausgerechnet als Prinz Harry, heute nur noch Herzog von Sussex, entpuppte: Von wegen „Ach wär ich nur ein einzig Mal ein schmucker Prinz im Karneval, dann würdest Du Prinzessin mein, das wär zu schön im wahr zu sein“. Denn so romantisch wie bei den Gebrüdern Grimm ging die boulevardeske Kitsch-Collage aus den Märchen vom Aschenputtel und vom Froschkönig denn nun doch nicht weiter. Dem einer gewissen Gefallsucht zugeneigten Aschenputtel war es nämlich nicht vergönnt, sich im güldenen Glanze eines umjubelten Prinzen zu sonnen, so dass schließlich das Regenbogen-Blatt „Gala“ dessen Offenbarung autobiografischer Schlüpfrigkeiten in der höchst vulgären Meldung zusammenfasste: „Prinz Harry wird richtig intim: Wilde Sex-Nacht mit Meghan“. Von wegen „Noblesse oblige – Adel verpflichtet“, oder wie man früher zu sagen pflegte: „Der Kavalier genießt und schweigt“. Da wäre angesichts solch einer Biesterei ein biederer bürgerlicher deutscher FDP-Politiker medienstrategisch womöglich doch die bessere Partie gewesen. Aber dem zahlt man keine 20 Mill. Dollar für seine Memoiren.

Der ganz normale Wahnsinn Wer die Feinheiten einer Sprache nicht versteht, sollte sich vor völlig abwegiger Sprachkritik hüten. Dennoch warf eine Anwohnerin des Kölner Lindner-Hotels diesem „Sexismus“ vor, weil es in seiner Werbung für die Hotel-Bar „Veedelseck“ eine Liedzeile der Karnevals-Combo „Höhner“ aus dem Jahre 1979 zitiert: „Blootwoosch, Kölsch un e lecker Mädche“. Die Dame empörte sich, die Liedzeile suggeriere, man könne in dieser Restaurant-Bar „neben Essen und Trinken auch Mädchen genießen“. So ein Blödsinn! Das niederländische Wort „lekker“ und das kölsche „lecker“ meinen nämlich nicht nur kulinarisch Wohlmundendes, sondern hier hat „lekker/lecker“ (auch) die simple Bedeutung „nett“ oder „schön“. Wenn man mithin in Köln ein etwas beleibtes weibliches Wesen als „lecker Möbbelche“ bezeichnet, so ist das durchaus liebevoll gemeint und keineswegs diskriminierend. Daher kontert Herr Bär jene mit unzulässigem jakobinischem Eifer vorgetragene Fehlleistung in Sachen Sprachkritik nun mit einer Liedzeile von Jupp Schlösser aus dem Jahre 1948: „Sag ens Blootwoosch, dat is doch janit schwer… denn wer nit richtig Blootwoosch sage kann dat is ’ne imitierte Kölsche janz jewiss“ (denn nur der eingeborene Kölner kriegt in „Blootwoosch“ das Dehnungs-O phonetisch richtig hin und weiß um die genaue Wortnebenbedeutung von „lecker“ Bescheid).

Herrn Bärs Kommentar zum Rücktritt der Verteidigungsministerin Christine Lambrecht: „Lieb Vaterland magst ruhig sein…“

Aus gegebenem Anlass in Sachen gewaltfreier Widerstand sei auf ein historisches Beispiel verwiesen: Das Kölnische Stadtmuseum verfügt über ein Bild, das die Revolution von 1848 dokumentiert. Auf diesem Bild sieht man, dass die Kölner Revolutionäre ihre Barrikade taktisch geschickt vor einer Weinkneipe aufgebaut hatten. Stunden später betrat ein preußischer Schutzmann das Weinlokal und rief den Revoluzzern zu: „Ihr künnt die Barrikade widder avbaue. Die Revolution is vorbei“. Darauf die Antwort: „Is jut, aber dat maache mer morgen. Jetzt trinken wir erst mal in Ruhe aus“.

Mit den Rätseln des Lebens wird man heut zu Tage in den banalsten Situationen konfrontiert. Warum die Deutsche Bahn einem ihrer Kunden, in diesem Falle Herrn Bär, eine Sitzplatzreservierung für Wagen 21 andrehte, obwohl es bei besagtem ICE gar keinen Wagen 21 gab und auf dem Bahnsteig die Ansage „Bitte beachten Sie die veränderte Wagenreihenfolge“ bei Herrn Bär schon böse Vorahnungen hervorrief, und sich diese Vorahnungen dann durchaus erfüllten, weil der Zug nämlich nur die Wagen 32 bis 41 umfasste, wird für immer das Geheimnis des DB-Managements bleiben. Ebenso rätselhaft ist die Bestückung eines Regals in Herrn Bärs Lieblings-Discounter mit einem „Sportlerschinken“, worunter sich Herr Bär absolut nichts vorstellen kann. Was hat sich irgendein Marketing-Depp da bloß nur ausgedacht? Es gibt Vorderschinken, Hinterschinken, Rinderschinken, und nun ja, so sei’s geklagt, auch noch „Schinken aus Formfleisch“, bei dem Herr Bär mutmaßt, es handele sich nur um zusammengepresste Schinkenabfälle, aber „Sportlerschinken“? Hoffentlich kommt man als Sportler nach dessen Genuss gut durch die Dopingkontrolle. Beim Schinken aus „Formfleisch“ weiß man wenigstens, was drin ist.

aus der Serie: Sternstunden des Boulevardjournalismus

Essen und Trinken mit Herrn Bär

Zackenbarsch Der Zackenbarsch lebt in Küstennähe in tropischen und subtropischen Gewässern, auch in Nähe der italienischen Küsten; er gehört zu den Standards der chinesischen Küche. Sein Fleisch schmeckt aromatischer als etwa jenes vom Rotbarsch. Herr Bär bereitet den Fisch als Ganzes zu: man salze und pfeffere ihn von außen und innen, bestreoche beide Seiten ganz dünn mit je einer Messerspitze Senf und einer Messerspitze Meerrettich; träufele ein paar Spritzer asiatische Fischsauce hinzu, gare ihn dann zusammen mit frischem Dill und Zwiebeln in etwas Fischsud in einem Backofen.

Foto: Siglinde Kallnbach
Foto: Siglinde Kallnbach

Herrn Bärs Krustentier-Potpourri Wenn der LIDL-Discounter mal wieder Kaviar vom Amerikanischen Stör zu einem „Aktionspreis“ anbietet – zugreifen! Kommt nämlich geschmacklich dem russischen „Malossol“-Kaviar sehr nahe, an den Beluga und den Osietra zwar nicht so ganz, aber der Verzehr dieses LIDL-Kaviars ist in Zeiten des Ukraine-Kriegs ja auch politisch korrekt und daher ethisch absolut unbedenklich. Ein kleines Schüsselchen zum Aktionspreis kann man dem Entrée-Potpourri also guten Gewissens voran schicken. Ansonsten gehören auf den Potpourri-Teller: mild gesalzene Rettich-Scheiben, ein kleiner Gurken-Paprika-Salat, angemacht mit Salz, Jalapeno-Pfeffer, Dill, Olivennöl und Walnuss-Essig, Tomates aux crevettes gris auf belgische Art: Halbierte Tomaten aushöhlen und mit Nordseekrabben auffüllen, ein bisschen Dill dazu, und bei Bedarf auch ein Klecks Remoulade. Abgerundet wird das Ganze auf einem separaten Teller mit leicht in Knoblauch, kleinen roten Paprikastücken, einem Spritzer asiatischer Fischsauce und dem ausgehöhlten Tomateninneren in einer Pfanne mit Olivenöl kurz gedünsteten Flußkrebsen, abgeschmeckt mit Salz, Dill und besagtem Jalapeno-Pfeffer.

v.i.S.d.P.: Jürgen Raap, Senefelderstr. 5, 50825 Köln