Archive for Februar, 2013

bär aktuell nr. 150 – 22. Feb. 2013

Samstag, Februar 2nd, 2013

Die kommende Bundestagswahl wird wahrscheinlich durch die beste Weinkennerschaft entschieden. Die „BILD“-Zeitung schaute Angela Merkel beim Einkaufen in einem Berliner Supermarkt über die Schulter. Lauch und eingelegte Rote Beete, dazu eine Flasche Macon-Villages, dem der BILD-Reporter „nach dem Öffnen einen fast schon dreisten Geruch nach Akazienhonig“ und eine „dezente Restsüße“ bescheinigte: „Ein sehr gut gemachter Standardwein, Individualität darf man aber nicht erwarten“. Passt also gut zu dem Konformitätsdruck, dem sich die Minister in Merkels Kabinett unterwerfen müssen. Reiner Brüderle hingegen sucht die „dezente Restsüße“ bekanntlich woanders, denn er prahlte, es ins Guinness-Buch der Rekorde geschafft zu haben, indem er in seiner Amtszeit als rheinland-pfälzischer Weinbauminister sage und schreibe 1.348 Weinköniginnen „getroffen“ hatte. Die Betonung liegt auf „getroffen“, denn der FDP-Spitzenkandidat dementierte, eine solche Zahl an Weinköniginnen auch abgebützt zu haben. Wenn gerade keine Weinkönigin zur Hand ist und nach Erreichen eines gewissen Promillepegels sich ein Kontrollverlust bemerkbar macht, muss an einer nächtlichen Hotelbar schon mal eine FDP-Sprecherin mit strenger Stimme das altbackene Herrenwitzgebaren des Hoffnungsträgers ihrer Partei beenden: „Zeit ins Bett zu gehen, Herr Brüderle“. 

Gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“ legte Brüderle das Bekenntnis ab, er kaufe seine Weine direkt beim Winzer und gäbe für eine Flasche höchstens „sechs bis fünfzehn Euro“ aus. Wer abnehmen und sich nicht wochenlang mit lauem Wassersüppchen kasteien will, dem ist zur „Reiner Brüderle-Diät“ zu raten, bei der man „mit Fleischgenuss und einem halben Liter Wein am Tag… 20 Kilo abspecken“ könne. Allerdings, so warnt Brüderle ausdrücklich, vertrügen Frauen weniger Alkohol. Aber die dürfen dann zum Ausgleich Weinkönigin werden.

Sechs Euro für eine Flasche Wein ist als Minimum bei einer FDP-Führungskraft schon akzeptabel, aber wenn der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück herumtönt, einen „Pinot grigio für fünf Euro die Flasche“ würde er nicht kaufen, dann klingt das aus seinem Munde allerdings so großkotzig wie das Gebaren der Neureichen, die gerne auf ein hochtrabend gestaltetes Etikett oder einen schillernden Name wie „Chateau de Clochard“ hereinfallen, der letztlich völlig nichts sagend ist. Früher, in den finsteren 1970er oder 1980er Jahren, da trank der Banause einen künstlich verzuckerten Moselwein, der einem hinterher nur einen dicken Kopf bescherte, während der vermeintliche Kenner ein trockenes Gewächs bevorzugte, das aber eher die Bezeichnung „saurer Hund“ verdiente und Sodbrennen verursachte. Inzwischen wird der saure Hund nur noch zu Industriealkohol verarbeitet, und daher ist der legendäre „Kalterer See“ in der Zweiliter-Flasche für 1,99 bei ALDI längst aus dem Supermarktregal verschwunden. Nur bis zu Peer Steinbrück hat sich das noch nicht herum gesprochen, und deswegen raten ihm seine Wahlkampfmanager nun, nicht mehr mit seiner Weinkennerschaft punkten zu wollen, bei der er wahrscheinlich dem FDP-Konkurrenten Brüderle hoffnungslos unterlegen wäre. Oder hat man jemals etwas von einer weinbasierten „Peer Steinbrück-Diät“ gehört?

Wie glaubwürdig Steinbrück hingegen wirkt, wenn er sich im Wahlkampf statt zur Weinqualität über die Wohnungsmieten äussert, bleibt abzuwarten. Immerhin hatte er als Bundesfinanzminister eine Münchener Wohnsiedlung an den Meistbietenden verscherbelt, was zwar nach den Richtlinien der Bundesvermögensverwaltung formal absolut korrekt war, aber immobilienpolitisch eher einer weiteren verheerenden Ausbreitung des neo-liberalen Heuschreckentums als der notwendigen Bewahrung des sozialen Wohnungsbau genützt hat. So sei zur Einstimmung in die Fastenzeit, wo man als strenggläubiger Liberaler mit der Brüderle-Diät bis Ostern aussetzen muss, noch nachträglich ein schöner Witz aus dem Kölner Karneval überliefert: Wie baggert der Brüderle nachts um zwölf an der Hotelbar eine Frau an? – Er sagte zu ihr: „Erst bringe ich den Rösler ins Bett und dann kommst du dran!“ Alkohol in der Politik ist normalerweise eher die Domäne der CSU. So berichtete der „Spiegel“ 2010, dass der Verkehrsminister Peter Ramsauer im Bundestag einmal „außerordentlich beschwingt“ an einer nächtlichen Sitzung des Haushaltsausausschusses teilgenommen habe: „Auf die Frage eines SPD-Haushälters, wie Ramsauer denn die Kürzungen beim so genannten kombinierten Verkehr einschätze, entgegnete Ramsauer so schwungvoll wie doppeldeutig: ‚Kombinierter Verkehr? Das ist ganz mein Ding!’ Das sei ‚ein Riesenauftritt’ gewesen, erzählten anderntags Abgeordnete feixend…“ Dass Ramsauer als Freund der Heiterkeit sich gegen EU-Pläne zu einer weiteren gesetzlichen Absenkung der Promillegrenze für Autofahrer wehrt, kommentiert die Internet-Gazette „Rentner News – Von Rentnern für Rentner“ mit den Worten: „Unterstützung erhält der Minister in breiten Kreisen der CSU, da dort das Fahren unter Alkohol ein akzeptiertes gesellschaftliches Verhalten ist“. Dass auch sonst nicht gedarbt wird, wo Peter Ramsauer auftritt, kann man z.B. einem Bericht im „Deutschen Ingenieurblatt“ entnehmen, wo der „Parlamentarische Abend der Bundesingenieurkammer“ mit Peter Ramsauer und mit „Häppchen, Bier und Wein“ als „zwanglos“ beschrieben wird. Da fragt man sich, was wohl bei einem „zwanglosen“ Abend mit Peer Steinbrück aufgetischt wird. Sicherlich kein billiger saurer Hund. © Raap/Bär 2013

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Bild des Monats Februar 2013:

 

Karl-Josef Bär / Jürgen Raap „Vum Strühot bes nom Zuckerhot, dä Samba litt uns all em Blot“, Acryl auf Leinwand.struehhot_zuckerhot72.jpg

Schild für Karnevalsumzug, 2013