Archive for April, 2013

bär aktuell nr. 153 – 22. Apr. 2013

Freitag, April 12th, 2013

Oh, du lieber Augustin, alles ist hin Christian Wulff mag sich in diesen Tagen fühlen wie der Wiener Bänkelsänger Markus Augustin in Dietzenschmids Volkskomödie. „Spiegelonline“ warnt angesichts eines möglicherweise anstehenden Korruptionsprozesses gegen den Ex-Bundespräsidenten vor einer „Show Justiz“ – die mediale Hinrichtung Wullfs ist allerdings schon früher längst erfolgt, nicht zuletzt wegen Wulffs eigener Ungeschicklichkeit mit Drohanruf bei der BILD-Zeitung etc., und nicht zuletzt auch unter der späteren publizistischen Mitwirkung von Noch-Gattin Bettina. Noch muss das Landgericht Hannover entscheiden, ob es die Anklage wegen Bestechlichkeit überhaupt zulässt, weil die Wulffs beim Besuch des Münchener Oktoberfestes sich vom Filmproduzenten Groenewold teilweise aushalten gelassen haben sollen. Nun darf z.B. in Köln ein städtischer Museumsführer keinerlei Trinkgeld annehmen, und wo einst die Müllmänner ein „Neujährchen“ erheischten (d.h. eine kleine Zuwendung zur Entbietung des Neujahrsgrußes an der Haustür), ist auch diese Sitte per Dienstanweisung längst abgeschafft worden. Wenn also der demokratische Grundsatz der Gleichheit aller vor dem Gesetz weiterhin eine Säule unserer Rechtskultur sein soll, kann man nun mal einem Ministerpräsidenten nicht durchgehen lassen, was schon mit weitaus geringeren Summen an Zuwendung oder Vergünstigung den Müllmann um seinen Job bringen würde. Die Mitleids-Heuchelei, die sich medial jetzt genauso über Christian Wulff ergießt wie vor einem Jahr der Shitstorm der Entrüstung von Journalisten und Internet-Bloggern, wirkt in höchstem Maße bigott – sie ist die Kehrseite jener typisch deutschen Rigorosität, mit der man in anderen Fällen auch Leute anprangert, die ihren Müll nicht richtig trennen.
Vom Billigwein zum Eierlikör Großes Gefeixe bei der Initiative Bürger beobachten Peer Steinbrück. Er mutiert nämlich immer mehr zum Verlegenheitskandidaten der SPD, denn der Problem-Peer vergeigt immer noch so ziemlich alles, was man als Spitzenkandidat einer Bundestagswahl eigentlich nur falsch machen kann. Unvergessen ist sein eher läppscher Versuch, durch die deutschen Wohnzimmer zu tingeln und dort das Gespräch mit den Bürgern zu suchen: „Wenn mir Eierlikör angeboten wird, trinke ich einen mit“, hatte Steinbrück vollmundig versprochen. Doch das erste dieser Gespräche fand dann ausgerechnet bei den Eltern einer niedersächsischen SPD-Genossin statt, mithin als „Heimspiel“, und als die Gastgeber auch noch bekundeten „Wir haben extra Eierlikör für Peer Steinbrück gekauft“, kam der Verdacht einer bloß eigens für die Medien inszenierten Veranstaltung auf, die seitdem als „Eierlikörgate“ durch die Gazetten geistert. Dieselbe Familie war nämlich bereits 2009 vom SPD-Funktionär Hubertus Heil für eine ähnliche Aktion besucht worden. Und obwohl die Schulpolitik und mithin ebenso der Schulsport eigentlich Ländersache sind und nicht zur Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers gehören, schwadronierte Steinbrück drauflos, man möge den Turnunterricht an Schulen für Jungen und Mädchen künftig getrennt abhalten: mit dem Eindruck, er knicke vor den prüden Ansichten islamistischer Hardliner ein, gewinnt Steinbrück gewiss keine Wählerstimmen. Selbst Steinbrücks SPD-Parteifreund Heinz Buschkowsky, sonst ebenfalls ein Freund von Worten im Klartext, hält dies für „eine sehr unglückliche Äusserung“ und mahnte stattdessen: „Junge Leute brauchen gesellschaftliche Orientierung“. Ein Schuss in den Ofen war Steinbrücks Vorschlag insofern, weil die Kultusministerkonferenz der Länder schon 1985 beschlossen hat, ab Klasse 5 den Sportunterricht „für Jungen und Mädchen getrennt zu erteilen“ – aus pädagogischer Berücksichtigung der Pubertätsprobleme. Nach all den PR-Desastern funktionierte schließlich auch der alte Trick der Polit-Profis, von Schwierigkeiten im Inneren mit glanzvollen Auslandsbesuchen abzulenken, nicht mehr: als Peer Steinbrück in Paris dem französischen Präsidenten François Hollande seine Aufwartung machte, titelte das Polit-Magazin „Cicero“: „Fettnapf-Kandidat trifft Affären-Präsident“. Kommunikationsforscher sind sich einig: bis zur Bundestagswahl im September 2013 könne keine noch so ausgeklügelte PR-Strategie das Negativ-Image des Spitzenkandidaten korrigieren. Jetzt helfe nur noch das Prinzip „Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich’s völlig ungeniert“. Im SPD-Wahlkampfteam möge man daher darauf vertrauen, dass das Publikum der dauernden Fehltritte von Pannen-Peer allmählich überdrüssig sei und nicht mehr großartig auf weitere Flops achte. Nur die Initiative Bürger beobachten Peer Steinbrück wartet auf die nächste Gelegenheit, sich erneut über den Kandidaten zu beömmeln.
P.S. Das Kultgetränk der 1950er Jahre war ein Cocktail namens „Blonder Engel“. Er bestand zu gleichen Teilen aus Eierlikör und Limonade und wurde später gerne auf FDP-Parteitagen konsumiert, wenn der Champagner ausgegangen war. © Raap/Bär 2013

 

Bitte beachten Sie folgenden Veranstaltungshinweis:
Performance FehltWas?“

im Rahmen des Festivalprogramms „40 Jahre Europastadt Würzburg

Donnerstag, 19. Mai 2013, 20 Uhr, Plastisches Theater Hobbit, Münzstr. 1, Würzburg

Mitwirkende: Performance-Gruppe „FehltWas?“, Köln:

Sigrid Balk, Siglinde Kallnbach, Jürgen Raap, Heidi Reichert

– 40 Jahre/4 Sequenzen: Eine performative Zeitreise durch die Geschichte Europas.

bär aktuell nr. 152 – 1. April 2013 – Bild des Monats

Montag, April 1st, 2013

memling

 

BILD DES MONATS

„Herr Bär, Sie haben ein Bühnenbild für eine Operette entworfen?“
Bär: „Jojo, ävver eijentlich is dat eher eine Schmonzette. Die hatte dä Komponist Rainer Brüderle damals unter dem Titel ‚Wein, Weib un Jesang‘ erausjebracht un dann war dat Stück jahrzehntelang verschollen. Keiner wollte dat mehr hören. Dat wär alles zu altbacken, zu bräsig, zu sehr auf Altherrenwitzniveau, han se jesaht. Ävver jetz hätt en Journalistin us Hamburg die Partitur wieder entdeckt.“
„Un man hat für die Wiederaufführung dieser Operette einen neuen Titel gegeben?“
Bär: „Mer säht jetzt dazu, dat wör en Musical. Dat klingt zeitjemäßer.. Dä neue Titel ‚Rhein, Wein und Mägdelein“ soll sich ja auch wat moderner anhören. Ävver ich weiß et nit… dat klingt eher nach altem Wein in neuen Schläuchen…“
„Nun ja, den Rhein sieht man links im Bild, Mägdelein sind auch dabei, aber wo ist der Wein?“
Bär: „Den hätt dä Kamelleoffizier rechts im Bild schon ausjetrunken.“

Karl-Josef Bär / Jürgen Raap, „Hommage à Hans Memling“, 2013

 

Bär aktuell Nr. 152 – 1. April 2013

Pecunia non olet . Während Peer Steinbrück anlässlich der zypriotischen Finanzkrise diesmal nicht das Anrücken der Kavallerie androhte wie einst den alpenländischen Steueroasen, sondern beharrlich schwieg, und man bei der Initiative Bürger beobachten Peer Steinbrück nicht recht wusste, ob das Schweigen von Peer Steinbrück wohltuend war oder nicht, blieb es stattdessen seinem Parteifreund Sigmar Gabriel vorbehalten, vor laufenden Kameras den Lobbyisten für die zypriotischen Kleinsparer zu geben. Als die Bedingungen für eine teilweise Rettung des zypriotischen Bankwesens schließlich ausgehandelt waren, grollte ausgerechnet der luxemburgische Premierminister Jean-Claude Juncker über die medialen Begleiterscheinungen der Krisenbewältigung, er sei entsetzt über so viele Ressentiments in Europa, als ob man gegenüber russischen Oligarchen und der mutmaßlich häufig zweifelhaften Herkunft ihrer Einkünfte keine Ressentiments hegen dürfte. Dazu muss man wissen, dass Juncker als Premier der politische Vorsteher eines ebenfalls als Steueroase operierenden Kleinstaates ist, und da im nördlichen Europa somit nicht nur gegenüber der sprichwörtlichen levantinischen Laxheit der zypriotischen Bankenaufsicht Ressentiments angebracht sind, sei der politischen Korrektheit halber darauf hingewiesen, dass die fiskalpolitische Levante eigentlich schon an der Mosel anfängt, nämlich am luxemburgischen Grenzübergang Wasserbillig.
An den Autokennzeichen der dort vor den Banken parkenden Nobelkarossen lässt sich empirisch belegen, dass in Luxembourg russische Mafiosi als Bank-Kunden deutlich in der Minderheit sind gegenüber wohlbetuchten deutschen Steuersparern. Die calvinistische Bigotterie, die Steinbrück mit seinem geflügelten Wort vom angedrohten Kavallerie-Einsatz explizit dem alpenländischen Bankenwesen unterstellt, hat aber wohl von Hongkong bis zur Wall Street die gesamte Geldbranche erfasst. Zwar muss bei einer deutschen Bankfiliale jeder Schatzmeister eines Kaninchenzüchtervereins bekunden, er halte sich bei der Verwaltung des Vereinsvermögens streng an die Bestimmungen des Geldwäschegesetzes, aber ansonsten gilt im Kredit- und Investmentgewerbe global der vespasianische Grundsatz „Pecunia non olet – Geld stinkt nicht“. Oder um es mit Bert Brecht auszudrücken: Erst kommt das Fressen, dann die Moral.
Wobei dann oftmals mafiöse Oligarchen, Waffenschieber und ähnlich zwielichtige Zeitgenossen die Sättigungsbeilage liefern, und da man bei der Tiefkühl-Lasagne im Supermarkt ja auch nicht so genau wissen will, welcher Schindmähre man in irgendeinem verdreckten Schlachthof weit weg in Osteuropa den Fleischanteil für die Lasagnefüllung aus dem Kadaver geschnitten hat, fragt man an einem zypriotischen Bankschalter bei der Kontoeröffnung auch nicht nach, wo der Oligarch denn nun seine Kohle her hat, wobei man dann wahrscheinlich ohnehin keineswegs die ehrliche Antwort bekäme, er handele mit Tiefkühl-Lasage, deren Pferdefleischanteil man falsch etikettiert habe.
Von Jean-Claude Juncker ist übrigens auch ein geflügeltes Wort überliefert, nämlich, wenn es hart auf hart käme, müsse man als Politiker auch mal lügen dürfen.
Bliebe noch nachzutragen, dass in Köln kürzlich ein junger Mann als Serienbetrüger vor Gericht stand. Der Richter sagte zu ihm kopfschüttelnd, er könne nicht verstehen, dass der junge Mann so sehr auf die schiefe Bahn geraten sei, er stamme doch aus gutem Hause, er sei gebildet, habe gute Manieren… Wobei der Angeklagte zum Antrieb für seine kriminelle Energie erklärte, er sei als Kind zu sehr verwöhnt worden…
© Raap/Bär 2013