Archive for Dezember, 2014

bär aktuell spezial nr. 177 – 22. Dez. 2014

Mittwoch, Dezember 10th, 2014

Bär polyglott – unterwegs mit Herrn Bär Was gibt es aus dem böhmischen Kurort Marianske Lazne (Marienbad) zu berichten, wo bereits Goethe lustwandelte? Nun, einige Heilquellen hat man dort nach den habsburgischen Kaisern benannt. So hätte Rudolf II. es sich nicht träumen lassen, dass er seinen Namen einem Heilwasser verleiht, das urologische Probleme lindern soll, während es Kaiser Ferdinand zum Namenspatron eines Wassers brachte, das bei Verdauungsproblemen Abhilfe bietet. Wenn sich dann am Trinkbrunnen der Harndrang meldet oder der flotte Ferdinand, eilt man zur nächsten öffentlichen Toilette, wo jedoch der Toilettenwärter einen erst einmal ausforscht, ob man Deutscher oder Russe sei. Er ließe nämlich keine Russen mehr auf sein Klo, erklärte der tschechische Toilettenmann in radebrechendem Deutsch Herrn Bär, denn er sei es leid, dass die russischen Damen in der Handhabung von Toilettenpapier zu ungeübt seien und dieses nach Gebrauch auf dem Kabinenboden verstreuten, während die russischen Männer notorisch daneben pinkeln würden. Seine Ursachenforschung habe zu der Erkenntnis geführt, das sei „kulturell bedingt“, was der Toilettenmann auf die Formel brachte: „Ruski Kultur kaputt“. Nun hätte um der politischen Korrektheit willen Herr Bär entgegnen können, gewiss gäbe es auf Mallorca auch spanische Toilettenwärter, die sich über das Gebaren eimerweise Sangria konsumierender deutscher Ballermann-Touristen beklagen, doch Herr Bär zog es vor, einen Beitrag zur deutsch-tschechischen Völkerverständigung zu leisten und den Mann im Glauben zu lassen, in Deutschland gäbe es nur zivilisierte Sitzpinkler (die man jedoch allenfalls auf den Parteitagen der Grünen antrifft, wo sich vor der Herrentoilette ökologisch korrekte Warteschlangen bilden: in die linke Kabine gehen die Zausel, die zuviel Ingwer-Tee getrunken haben, in die rechte Kabine die Konsumenten von Holunder-Bionade, und nur die „Selbsthilfegruppe grün-alternative Machos“ geht breitbeinig nach draußen ans Mäuerchen).
Während Herr Bär sich abends im Hotelrestaurant an einem böhmischen Schweinebraten mit Serviettenknödeln labte, kam ein Reisebus mit Chinesen an, die „Ganz Europa in fünf Tagen“ bewältigen wollten und von ihrem Reiseleiter sofort mit barschen Worten ohne Abendessen ins Bett gescheucht wurden. Am anderen Morgen wurde Herr Bär durch Gejuchze draußen auf dem Hotelparkplatz wach und sah aus dem Fenster, wie die Chinesen im Schnee herumtollten, bis der unerbittliche Reiseleiter sie in den Bus scheuchte, und zwar ohne Frühstück, denn die knappe Zeit, die fürs Frühstück eingeplant war, hatten die Chinesen mit ihrer Balgerei im Schnee vertrödelt, und das straff organisierte Programm „Ganz Europa in fünf Tagen“ duldete keine Verzögerung durch eine Schneeballschlacht auf einem tschechischen Hotelparkplatz. So bekam Herr Bär eine eindrucksvolle Demonstration geboten, wie ein chinesischer Reiseleiter es schafft, im Nu die Gruppendisziplin wieder herzustellen.
Der tschechische Einzelhandel umwirbt seine deutsche Kundschaft mit dem Reim „Gucken hier, gucken da, besser als bei C&A“. Auf dem Weihnachtsmarkt vor der Kurtrinkhalle von Marianske Lazne spielt der Drehorgelmann zwischendurch auch mal „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“, was zwar musikalisch zu einem Weihnachtsmarkt nicht ganz passt, die Klientel der Ferdinand-Quelle trotzdem erfreut. Die Stände auf dem Weihnachtsmarkt bieten Magdeburger Salami, französische Eselswurst und Schweizer Käse feil. Der Weihnachtsmarkt-Organisator kommt aus Schwaben und erzählt stolz, er habe sich mit dem Import deutscher Wurst nach Tschechien dumm und dämlich verdient. Auch das mag man als eine Form von kulinarischem Kulturimperialismus begreifen, bei dem im ökonomischen Globalisierungswettbewerb zumindest in Böhmen die deutschen Mettwurstfabrikanten den amerikanischen Burger-Ketten umsatzmäßig noch eine deutliche Nasenlänge voraus sind, obwohl der Toilettenmann nur den Russen vorwirft, sie benähmen sich als Touristen wie Besatzer: früher seien sie mit ihren Panzern gekommen, heute protzten sie lärmig mit ihrem Oligarchen-Geld herum, so klagt er. Die Deutschen hingegen kommen nur mit Wurst und Glühwein, mit ALDI, Kaufland und Lidl, aber in der gesamten Stadt mit ihren 10.000 Einwohnern findet man keine einzige tschechische Metzgerei mit böhmischen Spezialitäten.
Wenn man mit der Bahn zurück fährt, merkt man sofort, wann man wieder in Deutschland ist: kurz hinter der Grenze betritt ein muffliger Deutsche Bahn-Schaffner das Abteil, und der Tonfall, mit dem er das Vorzeigen der BahnCard verlangt, erinnert ein wenig an den des chinesischen Reiseleiters. © Raap/Bär 2014 marienbad45 (640x446)
marienbad45 (640x480) marienbad55 (640x480) marienbad58 (640x480)