bär aktuell 192

Dezember 2nd, 2015

napotheaterplakat  teller fischsuppe 69 euro

Bär polyglott – unterwegs mit Herrn Bär Neapel sehen und sterben? Letzteres wohl lieber nicht, findet Herr Bär, der beim Landgang von einem Kreuzfahrtschiff angenehm überrascht ist, dass das Erscheinungsbild der Stadt seit dem letzten Besuch vor 35 Jahren an Sauberkeit deutlich gewonnen hat, weil nämlich die Neapolitaner ihren Müll inzwischen in einer überdimensionierten Müllverbrennungsanlage in Köln entsorgen. Köln wiederum hält sich auch für eine mediterrane Stadt, was man dort damit unter Beweis stellt, indem man beim Grillen im Kölner Grüngürtel die abgenagten Hühnerknochen und zerdrückten Bierdosen achtlos auf der Liegewiese zurück lässt, weil man das für mediterrane Nonchalance hält, was aber wiederum in den Parks von Neapel kein Mensch macht, und auch der Hausmüll wird überall in Italien ordentlich getrennt. Die skandalösen korrumptiven Begleitumstände, mit denen damals Kölner Lokalpolitiker bei der Müllindustrie „Danke schön“-Spenden für den Bau der Müllverbrennungsanlage einsammelten, damit auch der Müll von Neapel mit entsorgt werden kann, lassen den mutmaßlichen Versuch des Fußballbundes DFB, sich mit 6,7 Mill. Euro den Zuschlag zur Austragung einer Fußball-WM zu erschleichen, als Dummer Jungen-Streich erscheinen. In Neapel herrscht derzeit rege Bautätigkeit, überall wird mit dem Presslufthammer gerattert, auch ansonsten geklotzt und gekleckert, aber auf neapolitanische Bauunternehmer ist durchaus Verlass: die werden mit ihren Bauvorhaben schneller fertig als der Berliner Mehdorn-Flughafen oder die ebenfalls höchst dilletantische Sanierung der Kölner Oper.
Auslandsreisen sind also generell zu empfehlen, um Vorurteile und folkloristisch verbrämte Klischeevorstellungen über andere Länder und andere Völker abzubauen, zumal auf einem 300 Meter langen Kreuzfahrtschiff, wo Passagiere und Besatzung aus 60 verschiedenen Nationen auf engem Raum nur gut miteinander auskommen, wenn sie gelernt haben, tolerant und freimütig miteinander umzugehen. Der kubanische Mit-Passagier schwärmt von unserer Bundeskanzlerin („Oh, we all love Mrs. Merkel, she has such a great heart“), und der indonesische Steward erzählt uns, wie er auf Bali das Niederbrennen hinduistischer Tempel durch islamistische Dschihadisten mit erlebt hat. Die Getränke, die man bei 20 Grad C plus im November auf dem Sonnendeck mit Blick auf Sardinien oder die Küste vor Cannes verzehrt, werden am letzten Reisetag in US-Dollar abgerechnet, und Herr Bär hofft nun, dass bis zum Tag der Lastschrift auf der Kreditkarte der Euro-Kurs sinkt und die Zeche dadurch noch etwas billiger wird – man muss gegenüber Währungsspekulanten auch mal Milde walten lassen. Und noch ein Vorurteil gilt es zu revidieren: amerikanisches Heineken-Bier schmeckt eigenartiger Weise doch besser als das holländische Original-Gebräu. Dass sie einem kalifornischen Rotwein das Etikett „Chateau St. Jean“ verpasst haben, hat allerdings eher etwas mit Illusion als mit französischem Winzerhandwerk zu tun.
Das Highlight in der Kathedrale von Civitavecchia ist ein gläserner Reliquienschein mit einem Oberschenkelknochen vom Hl. Vincenz, und am Strand von Livorno kann man den örtlichen Fischern zuschauen, wie sie den Rogen aus dem Inneren der Seeigel für einen köstlichen Sugo auskratzen (Rezept s. unten). Wer auf einem Kreuzfahrtschiff zum „Captain’s Dinner“ oder „Officer’s Dinner“ mit einem Schiffsoffizier eingeladen wird, sollte unbedingt die Kleiderordnung beachten. Verpönt sind bauchnabelfreie Oberbekleidung bei den Damen und zerrissene Jeans oder Badelatschen bei den Herrn, wie die Instruktion auflistet. Angesagt ist stattdessen „Cruise Casual“ oder „Smart Casual“, also jene lässige Eleganz, in der Herr Bär seit eh und je immer eine gute Figur macht. Der Theaterabend mit einem Musical wird als „nicht jugendfrei“ und als mögliche „Verletzung von Gefühlen“ angekündigt, bloß weil in dem absolut harmlosen Stück die meisten Schauspieler im Travestie-Kostüm auftreten, was dem überall zunehmendem Puritanismus konservativer Hardliner und dem ebenfalls bedenklichen Muckertum ängstlicher Gutmenschen geschuldet ist, bloß ja keinem auf den Schlips zu treten, der sich durch eine Federboa provoziert fühlen mg.
Wie man in Cannes den Schönen und Reichen das Geld aus der Tasche lockt, wissen die Cuisiniers in den Nobel-Hotels, wo ein Teller Fischsuppe 69 Euro kostet, und wo aber selbst Rolls Royce-Besitzer beim rituellen Vorfahren am Hoteleingang sich einen Sicherheitsheck mit gründlichem Blick in den Kofferraum gefallen lassen müssen. Derweil halten saudi-arabische Grundstücksmakler in einer architektonisch gründlich misslungenen Event-Halle am Strand eine Immobilienmesse ab, unter deren Besuchern man allerdings hemdsärmelig herumpolternde neapolitanische Bauunternehmer und jovial grinsende Kölner Müllbarone als Besucher freilich weitgehend vermisst. Dabei gäbe es in der südfranzösischen Hafenstadt durchaus viel abzureißen und neu zu bauen, denn außerhalb der Altstadt wirkt Cannes an einigen Ecken baulich manchmal doch eher wie ein plattenbauähnliches Köln-Chorweiler für Millionäre.
© Raap/Bär 2015

Essen und Trinken mit Karl-Josef Bär
Risotto oder Spaghetti al Riccio di Mare (Seeigel) nach Art der Fischer von Livorno
Bisweilen kann man direkt am Strand von Livorno beobachten, wie die Fischer dort an der kleinen Öffnung der Seeigel rundum einen Deckel abschneiden, den rosaroten Rogen mit einem Löffel heraus holen und in ein Glas geben. Man vermischt den Inhalt mit Zitronensaft, und stellt diese Basis für den Sugo erst mal eine Weile kalt. Man bereitet Spaghetti oder Risotto separat zu. Die Sauce wird in einer Kasserole angerührt, indem man in erhitztem Olivenöl die Seeigelmasse, 1 paar Fischstückchen vom Stöcker oder von kleinen Rotbarben, bei Bedarf auch kleine weiße Muscheln, Zwiebeln, Knobloch und kleine grüne Paprikastücke andünstet – man kann auch 1 frische grüne Peperonischote 30 Sek. lang mitdünsten (aber nicht länger, sonst wird der Sugo zu scharf), dazu ein Paar Spritzer Zitronensaft. Mit Fischfonds auffüllen, bei Bedarf auch einen Schuss Weißwein hinzugeben, 2 Tomaten mit köcheln lassen, dann mit Sahne, Salz, ein paar Rosmarinblättern und Kukurma abschmecken. Zur Abrundung dann noch Bottarga di Muggine: das ist Rogen von der Meeräsche, vom Thunfisch oder auch Schwertfisch, den man in Italien auf den Märkten getrocknet und gesalzen kaufen kann und dann zu Hause beim Servieren fein über diesem Sugo zu der Pasta oder dem Risotto verreibt.

bär aktuell 190/191 – bild des monats

November 1st, 2015

Die neuesten Witze:

Tünnes führt zwei Elefanten spazieren. Sagt der Schäl: „Och, Tünnes, do häs jo zwei Elefante. Kannste mer eine avjevve?“ – Darauf Tünnes: „Enä, dat jeht nit. Die sin avjezählt.“

Tünnes kommt mit dem Fahrrad in eine Verkehrskontrolle. Der Polizist empört sich: „Sie haben ja überhaupt kein Schutzblech am Fahrrad! Und sie haben überhaupt keine Klingel! Und keine Bremse! Und Sie haben überhaupt kein Rücklicht, und kein Vorderlicht! Das macht fünf Euro Strafe!“ Tünnes fängt an zu lachen und der Polizist fragt irritiert, warum er denn lacht. Darauf Tünnes: „Gleich kütt dä Schäl. Dä hätt üvverhaup kein Fahrrad!“

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

Bild des Monats November 2015:

Jürgen Raap, „Der Effizienzkasper“, 2015

malewitsch (1280x1268)

Jürgen Raap „Hommage à Kasimir Malewitsch“, 2015

Ausstellungsbeitrag zur Ausstellung „100 Jahre Schwarzes Quadrat“ in der Galerie Seidel, Köln-Ehrenfeld, 14. Nov. 2015 bis 30. Jan. 2016

 

Bär aktuell 190/191 – 22. Nov. 2015

Die lange Nacht der Industrie rief man unlängst in Düsseldorf aus, und wem nächtliche Fabrikbesichtigungen nicht reichten, der konnte sich ein paar Tage später in Berlin auch noch zur „Langen Nacht der Automobile“ einfinden, deren Höhepunkt wahrscheinlich ein Autokorso mit eingeschaltetem Scheinwerfer gewesen sein muss. Woraufhin man in München glaubte, mit einer „Langen Nacht der Architektur“ und einer „Langen Nacht der Konsulate“ mithalten zu müssen. Im Wettlauf der Event-Deppen hat -wiederum Berlin – mit einer „Langen Nacht der Start Ups“ nicht unbedingt die Nase vorn, denn ein Teil des damit umgarnten Publikums avisiert vielleicht doch lieber „Die lange Nacht der Computerspiele“ in Leipzig, und etwas kopflastiger geht es in Gießen bei der „Langen Nacht der Mathematik“ zu. Und wer schon mal in Berlin ist, sollte dort auch die „Lange Nacht der Astronomie“ nicht versäumen und damit die Nacht zum Tage machen. Wer stattdessen lieber zu Hause bleiben will, der höre sich im Radio die Sendung „Die lange Nacht der Mikrodilletanten“ an, wobei Herr Bär in diesem Fall vermutet, hier bekommen wohl im Studio Leute ein Mikrofon in die Hand gedrückt, die nicht gelernt haben, damit umzugehen. Im Köln wird als Alternative dazu „Die lange Nacht der Fotoworkshops“ geboten (garantiert mikrofonfrei), während Hamburg mit der „Langen Nacht der Weiterbildung“ an den Start geht und sich dabei ein wenig um Intellektuellen-Folklore bemüht. Das Karlsruher Institut der Technologie lädt zur „Langen Nacht der Abschlussarbeit“ ein, was allerdings eine Mogelpackung ist, denn die Veranstaltung ist schon um 22 Uhr beendet: und so was nennt sich „Lange Nacht“! Bei der „Langen Nacht der Chöre“ – auch wieder in Berlin – erklingt zum Abschluss das „Abendlied“ immerhin erst um 1 Uhr nachts, was aber auch noch nicht allzu spät ist. Da die „Lange Nacht der Weine“ im sinnenfrohen Köln schon um 17 Uhr beginnt, ist Herr Bär mal gespannt, wie lange die das durchhalten. Nicht, dass man dann weinselig um 23.15 Uhr die große Multimedia-Show mit „Farbstrahlen“ zur „Langen Nacht der Optik“ in Rathenow an der Havel verpennt! Was einem glatt passieren kann, wenn man sich in Berlin zur „Langen Nacht der Psychoanalyse“ auf die Couch legt und dem Analytiker dann was vorschnarcht. Hamburg fällt in diesem Kontext auch sonst wieder durch einen Hang zur Tiefsinnigkeit auf, denn wahrscheinlich nirgendwo sonst käme man auf die reichlich bizarre Idee, eine „Lange Nacht der Anthroposophie“ abzuhalten (schon wieder Intellektuellen-Folklore!), und in Tübingen ist die „Lange Nacht der Nachhaltigkeit“ als eine Gegenveranstaltung zur nächtlichen Ex und hopp-Weinprobe in Köln einzustufen. Wer das alles hinter sich hat, der muss sich wahrscheinlich anschließend mal richtig ausschlafen.

Journalistische Prosa Musste man schon seit Jahren beklagen, das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ habe seine einstige sprachliche Süffisanz verloren, so liefen die Redakteure jüngst wieder zu alter gebrauchsliterarischer Form auf mit dem Satz: „Ihre Gesichter strahlten bleich im Licht der Smartphones, auf das sie starrten“. Nachzulesen im Bericht über den Besuch einer chinesischen Delegation im amerikanischen Silicon Vallery. Derweil beschrieb „Die Zeit“ das Nebengebäude der Deutschen Bank in Frankfurt als „Das Sterbehaus“. So hämisch bezeichnen laut Zeutungsbericht die jüngeren Bank-Mitarbeiter dieses Gebäude, in denen die pensionierten Vorstände dann noch weiterhin ihre Büros haben, in denen sie mit der Bedeutungslosigkeit des Alters hadern: Geld macht nicht glücklich, auch wenn diese Bonus-Banker auf ihren Privatkonten Millionenwerte zu vererben haben, aber reich ist schließlich auch jeder goldkettchenbehangene Zuhälter, der nicht bis drei zählen kann, und so bietet in den Augen der pensionierten Banker Reichtum mithin auch nicht mehr das Sozialprestige früherer Zeiten, als die Banker noch Bankiers hießen. Das wahre Statussymbol sei hingegen der Raum oder der Platz, über den man verfügen darf, also ein riesengroßes Büro zum Beispiel, wo jeder Besucher erst einmal bis zu den Knöcheln im Flausch des Teppichbodens versinkt und sich wie ein kleiner, schüchterner Bittsteller vorkommt, wenn er sich 30 Meter weit zum Schreibtisch des Vorstands vortastet. Eine räumliche Machtgeste, den die Banker den Schlössern und Palästen der Feudalherrscher abgeschaut haben. Und dann wird solch ein Vorstand nach der Pensionierung einfach in ein kleines muffiges Büro in jenem Nebengebäude abgeschoben, den die beruflich noch aktiven Zyniker in der Investmentabteilung so schnoddrig, wie sie nun mal sind, „das Sterbehaus“ nennen. Da muss man fast schon Mitleid mit den Ex-Bossen haben…
© Raap/Bär 2015

Essen und Trinken mit Karl-Josef Bär
Kürbissuppe Subbelrath
Hokkaido-Kürbis entkernen und in kleine Würfel schneiden, in einen Topf mit heißem Öl oder Butter geben, dazu eine gewürfelte Zwiebel, 1 Vanilleschote und 1 Knoblochzehe. Dann 1 Möhre dazu raspeln und mit Gemüsefonds auffüllen. ca. 30-40 Min. köcheln lassen. Mit Salz, Pfeffer, gelbem oder grünem Curry, Ingwer, Muskat Kreuzkümmel oder Schwarzkümmel würzen, zum Schluss mit Sahne abbinden.
Dorade à la Mahares
Pro Person eine ganze Dorade, ausnehmen, schuppen, salzen, pfeffern mit Olivenöl und mit Zitronensaft einreiben, im Inneren, Ras al-Hanout-Pulver, Knoblochpaste und etwas (vorsichtig!) Harissa-Paste verreiben, klein gehackte Tomaten und kleingehackte rote Spitzpaprika als Füllung hinzugeben, in einer Pfanne mit Olivenöl, Zwiebeln und Knobloch braten, grüne oder schwarze Oliven hinzufügen etwas Wasser oder Fischsud auffüllen, roten Gemüsepaprika mit Reibe zufügen, evtl. mit etwas Zitronensaft abschmecken, als Kräuter entweder Thymian oder frische Minze/Koriander zufügen, dazu als Beilage: Bulgur in Schüssel 30-45 Min. lang in heißem Wasser aufquellen lassen. In separatem Topf Lauchzwiebeln in Öl andünsten, Bulgur und Knobloch hinzufügen, Salz, Pfeffer, Kreuzkümmel, kleine Gurkenstreifen und kleine Stücke roten Gemüsepaprika, zum Schluss mit frischer Petersilie, frischer Minze und frischem Koriander würzen. Aufgequollener Bulgur kann mit diesen Zutaten und Gewürzen auch kalt als Salat gereicht werden.

 

 

bär aktuell 189 und bild des monats Okt. 2015

Oktober 1st, 2015

Bild des Monats Oktober 2015:

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

Jürgen Raap, „Der Pilger von Junkersdorf“, 2015

nachturinal (1280x743)

„Nachturinal“, Foto: Copyright Bär/Raap 2015

Bär aktuell Nr. 189  – 22. Okt. 2015
Für die nachtaktiven Wildpinkler stellte man unter der Kölner Severinsbrücke ein Schild mit dem Hinweis „Nachturinal“ auf. Nur ist dort allerdings weit und breit kein Dixie-Klo oder ähnliches zu sehen, was die Unterzeile „Für ein sauberes Köln“ unterstützen könnte. Einzig und allein die Kaimauer ohne Geländer lädt dazu ein, sich ins Hafenbecken zu erleichtern. Was bei den Jungesellenabschiedsabenden, mit denen die Altstadt an den Wochenenden heimgesucht wird, dann ab einem gewissen Promillegrad im Willen, am Rand der Kaimauer beim Pinkeln die Balance zu halten, gewiss ein akrobatisches Wagnis ist.
Herr Bär hatte ja schon immer denselben Musikgeschmack gehabt wie der Rolling Stones-Gitarrist Keith Richards, und Herrn Bärs Überzeugung, dass Hiphop musikalisch eher einfältig ist und dass vor allem auch die rhythmisch monotonen Textdarbietungen der Rap-Musiker mit ihrer oftmals arg aufgesetzten Underdog-Attitüde an die poetische Kraft der Minnesang-Lyrik eines Neidhart von Reuenthal längst nicht heranreichen, bestätigte Keith Richards unlängst mit seinen Worten: „Rap – so viele Worte, so wenig wird gesagt“. Rap habe gezeigt, dass es heute sehr viele Menschen „ohne musikalisches Gehör“ gebe, meint der Rolling Stones-Gitarrist: „Alles, was die brauchen, ist ein Schlagzeug-Beat und jemand, der dazu herumschreit, und schon sind sie glücklich“. It’s only Rock and Roll…
Bärs Bestatterkritik Nachdem im vergangenen Frühjahr der sympathische Musiker Winfried Bode sein 50jähriges Bühnenjubiläum im Kölner Bestattungshaus Pilartz beging, lädt Pilartz nun für den 15. November 2015 in seine Trauerhalle zu einer Dichterlesung. Geboten wird ein Text, „warmherzig und voller Komik“, wie es in der Einladung heißt, und damit dem Ambiente einer Trauerhalle angemessen: Ingeborg Semmelroth liest aus „Schneckenmühle“ von Jochen Schmidt. Lebensnah ging es auch kürzlich im Bestattungshaus Pütz-Roth, zu, wo der Mundart-Poet Heinz Monheim die kölsch-bergische Herbstrevue „Et is wie et es“ moderierte: ein Programm, das trotz wahrscheinlich in einem Beerdigungsinstitut außerhalb des Rheinlands undenkbar wäre. Über sich selbst lässt Heinz Monheim im Internet wissen, er „erhebe nicht den Anspruch, ein Kölsch nach den Regeln der Kölsch-Akademie zu schreiben“, und das hört sich so eigenwillig an, dass man glauben mochte, da habe bei der Revue-Darbietung im Trauerhaus ein zorniger Sprach-Rebell am Mikrofon gestanden. Christoph Kuckelkorn, der im vergangenen Jahr noch die „mörderischen Schwestern“ in seinem Bestattungsunternehmen bei ihrer Lesung verkünden ließ, „Für den guten Ruf gehen wir notfalls über Leichen“, verzichtet in diesem Herbst offenbar darauf, das Kulturprogramm der Bestatter-Szene mit einem eigenen Beitrag zu bereichern – jedenfalls ist auf seiner Internetseite unter „Aktuell“ derzeit kein Terminhinweis zu finden, und das wiederum lässt nun Herrn Bär rätseln, ob sich hier beim Nestor der rheinischen Bestatter vielleicht eine Trendwende in der Unternehmensphilosophie der Beerdigungs-Branche ankündigt.
Oh Gott, Herr Ott Im wegen eines dilletantisch gestalteten Wahlzettels um sechs Wochen verlängerten Kölner OB-Wahlkampf verzeichnet der Kandidat Dr. Mark Benecke (bekannt als Kriminalbiologe „Dr. Made“) von der Satire-Partei („Die Partei“) die meisten Facebook-Klicks. Der SPD-Kandidat Jochen Ott ließ sich derweil im Rodenkirchener Hallenbad in Badehose ablichten und postete das Foto ebenfalls auf Facebook. Da Ott dabei jedoch aus Sicht seiner Wahlkampfhelfer zu viel Hüftgold zeigte, rieten sie ihm, das Foto lieber wieder zu löschen, was der Kandidat dann auch vorübergehend tat, um dann reumütig wieder eine Kehrtwendung zu machen, er stünde zu seiner Figur. Wirken Politiker eigentlich menschlicher, wenn sie dicker werden? Aus der Sicht von Casting-Agenturen für verhungert aussehende superschlanke Models sicherlich nicht. Und zum Kauf einer Leopardenbadehose animieren jemanden wie Herrn Bär jedenfalls eher Tarzanfilme, aber keine Wahlkampffotos von Jochen Ott im Schwimmbad.
Wer den Schaden verursacht, braucht für den Spott nicht zu sorgen War es bisher das Privileg von Friseurläden, mit verkrampft-witzig bemühten Wortspielen wie „Kopfsalat“, „Rockhaarfäller“ oder „Stadtkämmerei“ Aufmerksamkeit zu erregen, so sieht sich nun eher unfreiwillig der Wolfsburger Schummel-Konzern brachialhumorigen Umdeutungen seines Firmennamens wie „Vom Winde VWeht“ ausgesetzt. Andere Witzbolde attestieren dem Konzern jetzt eine „Golfkrise“ oder assoziieren beim Namen des zurückgetretenen Vorstandsbosses Martin Winterkorn“ eine Schnapsmarke, war doch der Einbau einer manipulierten Abgaswerte-Software per se eine ziemliche Schnapsidee, wobei der Alkoholgehalt dieses fiktiven „Echt Wolfsburger Winterkorns“ in Vol.-Prozent genau der Prozentzahl an Verlusten am Aktienmarkt entspricht. Wenn der Schadstoff-Diesdel schon still gelegt werden muss, kann sich der Fahrer ja ungeniert einen Schluck aus der Pulle gönnen.
© Raap/Bär 2015

Essen und Trinken mit Karl-Josef Bär
Oktopus/Pulpe à la „Atlas-Fisch“ Köln-Ehrenfeld
In großem Topf Knoblochbutter erhitzen, 1 gr. Zwiebel und 2-3 Lauchzwiebeln glasig dünsten, 1 geschnittenen Fenchel hinzugeben, 1 halbe Möhren, 1 halbe Poreestange, klein gehackter Knollensellerie und reichlich Knobloch. Ganze Pulpe waschen, salzen, pfeffern, mit Lemoensaft einreiben und in den Topf geben, mit 1 Glas Fischfonds und Wasser auffüllen, reichlich Knobloch hinzugeben und Rosmarin. 40 Min. kochen lassen, bis der Oktopus weich ist. Oktopus herausnehmen abkühlen lassen und klein schneiden. Aus dem Sud zerkochtes Gemüse herausnehmen, ein paar neue frische Möhrenscheiben und Selleriestückchen hinzugeben, etwas Hummer- oder Krabbenpaste, frische Petersilie, kurz aufkochen lassen und als Vorsuppe servieren. Die Oktopusstücke in Olivenöl kurz anbraten und mit frischer Petersilie bestreuen.

Bär aktuell Nr. 187/188 und Bild des Monats

September 1st, 2015

Bild des Monats September 2015:

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

Jürgen Raap, „Die Narren der Ökonomie“, 2015

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

Vernissage zur Ausstellung „offen gelegt – fünf Kölner Künstler“, Michael Horbach Stiftung, Köln, 30. Aug. 2015

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

 

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

alle Fotos und Copyright: S. Kallnbach, Köln

Bär aktuell Nr. 187/188 – 22. Sep. 2015:

Als kürzlich der bayerische Innenminister Joachim Hermann verkündete, der Sänger Roberto Blanco sei ein „wunderbarer Neger“ (obwohl der Mann Blanco heißt, und das bedeutet im Spanischen „Weiß“, wiewohl eben jener Roberto Blanco bei einem Gastauftritt auf einem CSU-Parteitag mal fröhlich in den Saal rief „Wir Schwarzen müssen zusammen halten“), herrschte in den Medien große Aufregung in Sachen verbaler politischer Korrektheit. Prompt wählte auch der in Köln-Mülheim ansässige Karnevalsverein „ KG Müllemer Neger“ einen neuen Namen und nennt sich jetzt– um sich nicht mehr dem Verdacht des Rassismus auszusetzen – „KG Müllemer Klütte von 1961 e.V.“ „Klütte“ sind im Rheinischen schwarze Briketts… Klingt dem ersten Anschein nach formal korrekter, meinte aber früher hinsichtlich der semantischen Konnotation in der kölschen Umgangssprache das Gleiche – im Kölner Taxifahrer-Jargon wurde nämlich noch vor nicht allzu langer Zeit eine bekannte Afrikaner-Disco im Funkverkehr als „Klüttenkeller“ bezeichnet, was nun wirklich nicht witzig ist, sondern reichlich abwertend. So kann man sich als „KG Müllemer Klütte“ mit derlei sprachlichen Korrekturen freilich auch schon mal einen Bärendienst erweisen.
Andere ähnliche Karnevalsvereine, nämlich die „Löstige kölsche Afrikaner“, die „Vringsveedeler Dschungelbröder“ oder die „Poller Boschräuber“, können sich allerdings über Verdächtigungen in Sachen verbaler Rassismus insofern erhaben fühlen, als in ihrem Vereinsnamen eben nicht das böse „N-Wort“ vorkommt. Der Kabarettist Volker Weininger meint hingegen, ein politisch korrekter Karnevalsverein müsse heut zu Tage am besten „ KG Fidele Veganer e.V.“ heißen, wiewohl man sich dann freilich entscheiden müsse: „Entweder fidel oder Veganer“. Beides passe nun mal nicht zusammen.
Marius Jung, als „schwarzer deutscher“ Autor und Comedian aus Trier gebürtig, „verarbeitet auf satirische Weise rassistische Sprachfallen“ (Süddeutsche Zeitung), wurde jedoch wegen seines Werks „Singen können die alle – Handbuch für Negerfreunde“ von sauertöpfischen Studenten der Uni Leipzig selbst als Rassist beschimpft. Auch der Mainzer Dachdeckermeister Thomas Neger, Enkel des legendären Fastnachtssängers Ernst Neger („Humba humba täterä“) musste sich vom ASTA der Uni Mainz wegen seines 70 Jahre alten Firmenlogos anfeinden lassen, weigerte sich aber bislang, das Logo zu ersetzen: „Wir heißen nun mal Neger“. Derweil tingelt Marius Jung mit seinem Satire-Programm „Vom Neger zum Maximalpigmentierten“ über die Kleinkunstbühnen, und man fragt sich, ab wann der Wunsch nach adäquatem sprachlichem Ausdruck für lautere Gesinnung sehr rasch auch in das Gegenteil eines rigorosen Gesinnungsterrors umkippt: so forderte kürzlich in einem Mitgliederrundbrief der Kölner Grünen einer allen Ernstes, im Sinne einer „Gender-Mainstream“-Erziehung solle man an Karneval kleine Mädchen nicht als Prinzessin mit rosa Röckchen kostümieren und kleine Jungs nicht in ein Indianerkostüm stecken (aber auch nicht umgekehrt!). Und da zu zu jeder Moral auch eine Doppelmoral gehört, denkt Herr Bär darüber nach, ob dieser grüne Kostümierungs-Puritaner nicht zu Hause heimlich Karl May-Filme guckt mit Pierre Brice in der Hauptrolle als Winnetou.

Wer Anlass zu der Befürchtung hat, der amerikanische Geheimdienst höre sein Telefon ab, der kann von der sizilianischen Mafia lernen, dass auch im Jahre 2015 eine archaische Kommunikation über „tote Briefkästen“ noch sinnvoll sein kann. So wurde berichtet, dass ein flüchtiger Mafia-Pate zusammengefaltete Zettel mit einer Botschaft im Garten eines Schäfers versteckte. Der Schäfer musste dann denjenigen, der den Zettel abholen sollte, anrufen und ihm mitteilen: „Das Futter für die Schafe ist fertig“. Als die Presse die Meldung veröffentlichte, die italienische Polizei habe endlich den „Mafia-Code geknackt“, meldete sich in einem Internet-Kommentar ein unverbesserlicher Schlaumeier zu Wort: „Das soll ein Geheimcode sein?“ Solch eine chiffrierte Botschaft entziffere doch wohl jeder Kreuzworträtsellöser „innerhalb von Minuten“.
Wer Musikinstrumente besitzt, aber nicht gleichzeitig auch noch das nötige Talent, um ihnen harmonische Töne zu entlocken, dem verhelfen weder bewusstseinserweiterte Substanzen noch veganer Quitte-Holunderblütentee zu mehr Musikalität, wie er Herr Bär jüngst beobachten konnte, als ein Instrumentenbesitzer aus der Nachbarschaft bei offenem Fenster versuchte, auf dem Saxophon „I did it my way“ in der Version von Frank Sinatra darzubieten, bereits nach dem dritten Ton jedoch den Song jaulend abbrach. An Damenbekanntschaften hat der Instrumentenbesitzer zumeist verhärmt und entsagungsvoll dreinblickend wirkende Öko-Tanten zu Gast, die ein wenig so aussehen wie eine Tochter der Grünen-Ikone Kathrin Göring-Eckhard, und bei denen die Balz-Strategie des Instrumentenbesitzers sich als erfolglos erwies, sie mit dem Argument in die Wohnung locken zu wollen, er könne „I did it my way“ auf dem Saxophon spielen, weshalb er seine Damenbekanntschaften nunmehr lieber mit dem Argument anbahnt: „Oh, Baby, willst du mal meinen veganen Quitte-Holunderblütentee probieren?“ Der Computerbesitzer bei ihm im Hause, der sich „Start up-Unternehmer“ nennt, wirkt zwar äusserlich auch so, als ob er nur Mottenkugeln in der Jackentasche hätte, hat aber trotzdem immer aufregende Blondinen im Gefolge, denen er offenbar einredet, er bringe sie in der „Start up“-Szene groß raus, und wahrscheinlich überlegt der Instrumentenbesitzer sich jetzt, ob er nicht auch lieber Start up-Unternehmer werden soll.
Neulich geriet Herr Bär zufällig in einen Wurst-Wettbewerb, den man auf neudeutsch als „Wurst Challenge“ etikettiert hatte. Es wurde reichlich polnisches Bier ausgeschenkt, und als alle genug davon intus hatten, galt es darüber ab zu stimmen, ob die kölsche Currywurst eines lokalen Fleischbarons besser schmecke als eine Krakauer Wurst. Und obwohl -wie gesagt – dazu nur polnisches Bier ausgeschenkt wurde und kein Kölsch, lag nach Auszählung der Stimmen dennoch die Currywurst „um eine halbe Wurstlänge“ vorn, wie der Moderator launig verkündete. Herrn Bär beschlich das Gefühl, dass es bei diesem Wettbewerb in Wirklichkeit gar nicht um die Wurst ginge, sondern um Werbung für polnisches Bier.
Krähte in der U-Bahn eine thusneldahafte (vulgo: tussihafte) Vierzehnjährige: „Ich finde das total krass, wie abhängig unsere Generation vom Handy ist“. Darauf ihr ebenfalls etwa vierzehnjähriger Begleiter: „Find ich auch. Schließlich gibt’s ja auch noch Video-Chats“.
© Bär/Raap 2015

Essen und Trinken mit Karl-Josef Bär
Ungarische gefüllte Paprikaschoten à la Karl-Josef Bär
Hackfleisch (½ Schwein, ½ Rind) mit klein gehackten Zwiebeln, einem rohen Ei, frischem Rosmarin und Knobloch und halb gar gekochtem Reis vermengen (alternativ auch mit nur Sauerkraut, oder mit Hackfleisch und Sauerkraut, denkbar auch Sauerkraut und Reis zusammen, mit oder ohne Fleisch), in Kasserole geben, klein gewürfelte Tomaten und 1 klein geschnittene rote Paprikaschote sowie 1 klein geschnittene Möhre hinzugeben, mit Rinder- oder Gemüsebrühe auffüllen, im Backofen ca. 1 Std. bei mittlerer Temperatur garen, zum Schluss mit Majoran, Paprikapulver (Rosen und edelsüss) und Petersilie abschmecken. Dazu passt ein trockener ungarischer Rotwein oder ein österreichischer Rotwein aus der Wachau.
Rochenflügel à la Karl-Josef Bär
Salzkartoffeln in kleine Würfel schneiden und kochen. Bei Tomaten die Haut abziehen und klein würfeln. 2 Schalotten oder 1 mittelgroße Zwiebel klein würfeln. Kapern und Knobloch und ½ rote Spitzpaprika grob hacken. Rochenfilets salzen, pfeffern und mehlieren und in Olivenöl anbraten, Schalotten/Zwiebeln und andere Zutaten hinzugeben, andünsten, Fischfilets wenden, mit Fischfonds ablöschen und kurz aufkochen lassen. Etwas Tomatensaft hinzufügen. Mit frischem Dill und frischer Petersilie bestreuen.

bär aktuell 185/186 und Bild des Monats

August 4th, 2015

fruehstueck (1024x762)

Bild des Monats August 2015:

Jürgen Raap, „Das durchsichtige Frühstück“, 2015

————————————————————

Bildstrecke Bär polyglott – unterwegs mit Herrn Bär:

bamberg20 (1024x951)

 

bamberg21 (521x1024)

 

bamberg26 (1024x570)

Bär aktuell Nr. 185 – 3. August 2015

Bär polyglott – unterwegs mit Herrn Bär Als Herr Bär jüngst in Bamberg weilte, traf er dort auf einen Chinesen, der sich bei Herrn Bär erkundigte, wo er denn herkäme. Als Herr Bär antwortete, er sei in Köln zu Hause, strahlte der Chinese über das ganze Gesicht und sagte: „Ah, 4711, Eau de Cologne“. Und Herr Bär hatte sich wieder einmal als Botschafter des guten Geruchs erwiesen.
Dass Modedesigner bisweilen arg überkandidelt sind, bewies einmal mehr jener Berliner Vertreter der Zunft, der zur aktuellen Herrenmode für diesen Sommer bekundete, der elegante Flaneur solle ruhig Mut zum „Knöcheldékolleté“ haben. Herr Bär weigert sich dennoch, mit entblößten Fußgelenken durch die Straßen zu schlendern, weil man nämlich früher über solche Zeitgenossen lästerte, sie hätten ihre Hose auf Hochwasser eingestellt.
Wenn das mediale Sommerloch naht und den Zeitungsleuten nichts mehr einfällt, verbreiten sie gerne Tiergeschichten. „Bär raubt Bienenstock aus“ war mithin eine recht schöne Nachricht, ebenso wie jene urbane Legende, dass in Köln ein Rennpferd auf den Namen „Millowitsch“ getauft wurde und sein erstes Rennen mit vier Längen Vorsprung gewann. Derweil verbreitete ein Zeitungskolumnist allen Ernstes die Sottise, es verbiete sich von selbst, Wolfgang Schäuble wegen seines unbeirrbaren Auftretens in der Griechenland-Krise mit unangemessener Metaphorik einen „aufrechten Gang“ oder „Rückgrat“ zu bescheinigen, da er ja im Rollstuhl säße, wohingegen man über Sigmar Gabriel durchaus urteilen kann, er sei wieder einmal wie gewohnt schmierwurstartig aufgetreten, als er im Internet einen „Shitstorm“ auslöste und dann peinlicherweise zurückruderte in der Frage, ob und wann er vorab etwas über Schäubles „Grexit“-Nonpaper gewusst habe.

SPD bizarr Während Wolfgang Schäuble also trotzig und trutzig verkündet, wenn man ihn nicht weiterhin so agieren ließe wie er denn wolle, könne er ja auch zurück treten, dämmerte dem schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Torsten Albig (SPD), dass mit jenem Gabriel, bei dessen Rhetorik Herr Bär immer an eine streichfähige Teewurst denken muss, kein Staat zu machen ist. Und da auch sonst in seiner eigenen Partei niemand an die Beliebtheit von Über-Mutti Merkel heranreiche, empfahl Albig seinen Genossen, sie sollten doch bei der nächsten Bundestagswahl getrost auf einen eigenen Kanzlerkandidaten verzichten. Und es kommt noch doller: ausgerechnet der gescheiterte SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück attestierte Wolfgang Schäuble, er, Steinbrück, habe an Schäubles Verhandlungsführung gegenüber den Griechen überhaupt nichts auszusetzen, und der „Grexit“ dürfe kein Tabu sein. An seiner eigenen Partei lässt Steinbrück indes kein Gutes Haar: „Die SPD mobilisiert nicht, sie weckt keinen Enthusiasmus, sie reißt niemanden mit“, verkündete er jüngst in „Bild am Sonntag“. Steinbrück wirft seinem Parteifreund, dem Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, zugleich eine völlig vergeigte Energiepolitik vor, und dass er Gabriel trotz seiner Flops eigenartigerweise dennoch trotz äusserst geringer Wahlchancen für einen geeigneten Kanzlerkandidaten hält, klingt denn doch eher wie ein vergiftetes Lob. Und so bewahrheitet sich im Falle von Sigmar Gabriel wieder einmal die altbekannte Lebensweisheit, wer solche (Partei)-Freunde habe, der brauche beileibe keine Feinde mehr.

Neue Rubrik: Essen und Trinken mit Herrn Bär

Wurstbrot à la Sigmar Gabriel
Scheiben von rustikalem Graubrot dick mit Butter und mit Braunschweiger Mettwurst bestreichen, anschließend mit kleingehackten Lauchzwiebeln bestreuen. Dazu passt am besten ein Gläschen „Torsten Albig“-Aquavit (38 Vol. Prozent).

Risotto à la Europäische Zentralbank (Mario Draghi gewidmet)
1-2 Schalotten im Topf kurz in Knoblochbutter andünsten, Risotto-Reis hinzugeben und ständig umrühren, bis der Reis glasig ist. Mit Brühe auffüllen (Hühnerbrühe bei Geflügelrisotto, Fischfonds-Brühe bei Fischrisotto). Sobald der Reis die Brühe aufgesogen hat, immer wieder neue Brühe hinzugeben und ständig rühren, damit der Reis nicht anbrennt. Wenn der Reis gar ist, mit Salz, Pfeffer und Knobloch abschmecken, Parmesankäse darüber reiben. Dazu in der Pfanne scharf angebratene Maishähnchenbruststückchen mit Zwiebeln, Knobloch, frischen Pfifferlingen, ein paar Möhrenscheiben, roten Paprikastreifen, Petersilie, 4-5 dunklen Weintrauben und frischem Thymian zubereiten, bei Bedarf auch 4-5 getrocknete Morcheln hinzugeben. Als Sauce Geflügelbrühe mit geriebenem rotem Gemüsepaprika in die Pfanne einrühren. Bei Fischrisotto weiße Muscheln (Vongole) und Garnelen in Olivenöl anbraten, mit Fischfonds ablöschen, klein gewürfelte Tomaten, etwas Tomatenmark, rote Paprikastreifen, Knobloch und schwarzen Oliven kurz aufkochen lassen, mit Salz, Pfeffer, Beifuß, Dill und eventuell auch ein paar Blättern frischem Salbei abschmecken und zusammen mit dem Risotto servieren.
© Raap/Bär 2015

 

Bär aktuell Nr. 186 – 22. August 2015

OB-Wahlkampf in Köln Im Kölner Klüngel-Sumpf galt der SPD-Politiker Jochen Ott zu Beginn seiner Polit-Karriere als eine „Lichtgestalt“, die über jeden Korruptionsverdacht erhaben sei. Als Einäugiger unter lauten Blinden der König zu sein, mithin unter lauter filzigen Klüngelbrüdern als integrer Saubermann da zu stehen, war unter den damaligen Umständen allerdings auch nicht allzu schwer. Dennoch schrieb Jendrik Scholz schon 2002 in der „Sozialistischen Zeitung“, über den heutigen Kölner OB-Kandidaten, er sei „in den 90er Jahren das Ziehkind der beiden tief in den Korruptionsskandal verstrickten ehemaligen Paten des rechten Flügels der Kölner SPD, Klaus Heugel und Norbert Rüther“ gewesen. Weil ihnen die Jusos damals zu links gewesen seien, „entschieden sich die SPD-Rechten Heugel und Rüther dafür, das ‚Red-Sox-Team‘ als neue parteitreue Jugendorganisation zu installieren und machten Ott zum Chef…“. In der Frankfurter Rundschau und der Süddeutschen Zeitung, so Scholz, hätten deswegen seinerzeit Mutmaßungen kursiert, „dass Otts damalige Aktivitäten in Wirklichkeit aus den schwarzen Kassen Rüthers und Heugels finanziert worden waren.“
In den Stadtrat hat es Jochen Ott im Laufe der Jahre indes nie dauerhaft aus eigener Kraft geschafft: bei der vorletzten Kommunalwahl hätte er auf einem hinteren Listenplatz den Einzug in den Rat fulminant verpasst, wenn nicht der Parteifreund Jürgen Noppel mehr oder weniger freiwillig zugunsten Otts auf seinen Ratssitz verzichtet hätte. „Noppeln“ nennt man seitdem in Köln diese reichlich bizarre Form von Mandatsübernahme. Die Wähler in Noppels Wahlkreis staunten jedenfalls nicht schlecht, als sie Noppel gewählt hatten und dafür Ott bekamen. Nach der letzten Wahl musste Jochen Ott einige Monate später seinen Ratssitz wieder räumen, nachdem auf Anordnung des Verwaltungsgerichts im Wahlbezirk Rodenkirchen die Stimmen neu ausgezählt wurden und das Wahlergebnis daraufhin korrigiert werden musste.
Auf der Internetseite „abgeordnetenwatch.de“ muss sich Jochen Ott als Mitglied des NRW-Landtags angesichts seiner schwammigen Antwort auf eine Frage nach „Auswirkung des Nachtfluglärms“ den Vorwurf gefallen lassen, „dass Sie den Ihnen gestellten Fragen mehrheitlich ausweichen“, wie ein gewisser Peter Hahne moniert. Dass er auf seinen Wahlplakaten seine SPD-Mitgliedschaft verschweigt, kann man allerdings als PR-strategisches Kuriosum durchgehen lassen, wobei es zur Begründung aus seiner Wahlkampfzentrale heißt, in Köln wisse doch jeder, dass Ott in der SPD sei, deswegen brauche man das auf einem Plakat nicht mehr eigens zu erwähnen.
Die inhaltliche Beliebigkeit seiner Wahlkampfparolen auf den Plakaten wird nur noch durch die Hohlnussigkeit übertroffen, mit der eine gewisse Sabine Neumeyer Jochen Otts Kandidatur Konkurrenz macht und sich als parteilose „Partybürgermeisterin“ anpreist, als ob es gelte, den Stadtrat in ein Festkomitee für die zunehmende und damit auch zunehmend unerträgliche Ballermannisierung der Stadt umzufunktionieren. Zugleich muss Jochen Ott aber auch gegen den „Nackt-Cowboy“ Herby Nussbaum antreten und gegen „Dr. Made“, einen prominenten Kriminalbiologen, der als NRW-Vorsitzender die Satire-Partei „Die Partei“ anführt, während ein weiterer Kandidat, nämlich der „Umweltaktivist“ Marcel Hövelmann, für den Fall seiner Wahl als OB das Vorhaben eines Designwettbewerbs für Blumenkübel im öffentlichen Straßenraum als dringlichstes kommunalpolitisches Problem in die Tat umsetzen will.
Henriette Reker, die von den Grünen, der CDU und der FDP gemeinsam unterstützt wird, hofft vielleicht insgeheim, dass diese skurillen Exoten trotz ihrer Chancenlosigkeit ihrem Rivalen Ott letztlich so viele Stimmen weg nehmen, dass es für ihn am Ende nicht reicht. Immerhin hat bei einer früheren Ratswahl ein Zeitungsverkäufer als Außenseiterkandidat schon mal mehr als 1.000 Stimmen eingeheimst.
Herrn Bärs Fazit: ein bisschen erinnert der OB-Wahlkampf ja nun doch an einen Schwank im Hänneschen-Theater, aber ein solcher Politik-Stil gehört nun mal zu den folkloristischen Eigenheiten der Domstadt genauso wie ein Bauskandal nach dem anderen: erst trödeln sie auf der Baustelle des Opernhauses herum, um dann bei ihrem Bauherrn „Beschleunigungszuschläge“ einzufordern, und wenn es dann trotzdem nicht schneller voran geht, heißt es, für beschleunigtes Arbeiten fehle ihnen das nötige Fachpersonal. Wahrscheinlich wird der Berliner Flughafen nun doch früher fertig als die Sanierung des Kölner Opernhauses, aber das stört am Rhein niemanden, denn wie sagt der Kölner: „Langsam kütt mer och an et Ziel“.
© Raap/Bär 2015

 

 

Bär aktuell nr. 184 – Bild des Monats Juli 2015

Juli 1st, 2015

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

Bild des Monats Juli 2015

Jürgen Raap, „Merguez im Propsteier Wald“, 2015

 

Bär aktuell Nr. 184 – 3. Juli 2015:

Das Erheischen von Spenden und Sponsorengeldern nennt man heute auf neudeutsch „Fundraisiung“ oder auch „Crowdfunding“. Es erfordert schon eine gewisse Pfiffigkeit, und dass er nicht der oft gescholtenen „Generation blöd“ angehört, wollte ein junger Instrumentenbesitzer beweisen, der in einer Kölner Fußgängerzone unbeholfen auf einer Gitarre herum schrummte und vor sich originellerweise ein Pappschild aufgestellt hatte: „Bitte eine Spende für Gitarrenunterricht“.
Wenn aus Hollywood ein Film mit einem sprechenden Bär in die Kinos kommt, nämlich der Film „Ted 2“ und der Filmkritiker, der in der Lokalpresse diesen Film bespricht, Albert Baer heißt, dann entbehrt das nicht eines gewissen Charmes, und es bewahrheitet sich die Weisheit „Nomen est omen“, zumal die Rezension eine wohlwollende Haltung gegenüber dem Film erkennen lässt und ihre Lektüre großes Vergnügen bereitet.
Wer zu einem griechischen Grillabend eingeladen ist, der sollte wissen, wie man dort grillt, nämlich ohne Kohle. Allen Ernstes kann man darüber diskutieren, ob solch ein Witz für ein scharfzüngiges Kabarett-Programm angemessen ist, oder man sich damit besser nur durch eine seichte Comedysendung kalauert, wo man allzu oft Humor mit Zynismus verwechselt. Nun ist der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras gewiss nicht „von der Pampelmuse“ geküsst, wie es in anderem Zusammenhang einmal der Komiker Heinz Erhard ausdrückte. Doch den Possenreißern in den Comedy-Formaten des Privat-TV wäre dennoch dringend die Lektüre von Peter Sloterdijks Standardwerk „Kritik der zynischen Vernunft“ anzuraten: in der antiken Philosophie bot der Kynismus (mit „K“ geschrieben, sic!) der entmachteten Bevölkerung ein Ventil, und damit war er ein ideologischer Gegenpol zur etablierten akademischen Philosophenschule Platons. Der noch heute bekannteste Kyniker war Diogenes als ein Verfechter der materiellen Bedürfnislosigkeit und der Natürlichkeit – eine große Tonne genügte ihm als Behausung. Sloterdijk beschreibt, wie sich im Laufe der Geschichte mit der Ausprägung eines bürgerlichen Bewusstseins, kulminierend in einer pfeffersäckischen Kaufmannsmentalität, der Kynismus zum Zynismus wandelte – dem Zyniker geht es alsdann überhaupt nicht mehr um die Durchsetzung und Bewahrung ethischer Werte wie einst dem Kyniker in der Antike, und er repräsentiert schließlich mit seinem hartherzigen merkantilistischen Denken in einer anti-humanistischen Weise alle negativen Verwerfungen der abendländischen Zivilisation. Philosophiegeschichtlich kann man Sloterdijks Standardwerk in der Tradition einer Vernunftkritik sehen, die -vergleichbar den naturidyllisierenden Schäferszenen in der Malerei des 18. Jh. – den Kyniker als unzivilisiertes und plebejisches Gegenmodell zur zynischen Geldrationalität der heutigen Bonus- und Investment-Banker feiert, die sich in den vergangenen sechs Jahren an der Griechenland-Krise dumm und dämlich verdient haben. Nun kann man dem deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble und dem neoliberal ausgerichteten Internationalen Währungsfonds IWF schon eine gewisse Nähe zu einem Zynismus in diesem Sloterdijkschen Sinne bescheinigen, aber der sturköpfige Alexis Tsipras ist wahrlich auch kein Kyniker von diogenesischer Lauterkeit, sondern eher nur einer, der in den Medien Sepp Blatter als Buhmann des Monats abgelöst hat.

Copyright: Raap/Bär 2015

Bild des Monats/bär aktuell nr. 183 – 3. Juni 2015

Juni 2nd, 2015

sebus (1280x956)

Bär aktuell Fotodokument: Kölscher Mitsingabend mit Krätzchensänger Ludwig Sebus (Mitte), Rudi Rumstajn (links) und Magic Flönz (rechts) im Weissen Holunder, Köln, 7. Juni 2015. Foto: S. Kallnbach

 

 

Bild des Monats Juni 2015

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

Jürgen Raap „Merguez im Propsteier Wald“, Acryl/Öl auf Leinwand, 2015

 

In eigener Sache 1985 stiftete das Dreigestirn des Kölner Karnevals dem örtlichen Zoo drei Grizzlybären. Einer wurde nach dem Prinzen „Karl-Josef I.“ benannt, die anderen nach dem Bauer „Reiner Maria“ und nach der Jungfrau „Friederike“. Im Jahre 1988 brach Karl-Josef I. aus seinem Gehege aus. Er warf einen Baumstamm in den Wassergraben, der sein Gehege abtrennte, ruderte auf dem Baumstamm über den Graben und hangelte sich dann über das Geländer. Obwohl der Bär niemandem etwas zuleide tat, wurde er von herbeigerufenen Polizisten erschossen. Diese Begebenheit war Anlass zu einer Performance-Reihe, den Bären mittels Hypnose zum Leben wieder zu erwecken. Als Medium stellt sich hierfür ein Plüschbär zur Verfügung. Bis heute finden kontinuierlich Kabarett-Performances mit Herrn Bär statt, u.a. zusammen mit der Kölner Performance-Gruppe „Fehltwas?“. Zwischen 1993 und 2007 publizierte Jürgen Raap im KBV-Verlag Hillesheim sieben Krimis mit der Hauptfigur Karl-Josef Bär als Privatdetekltiv aus Köln-Ehrenfeld. Herr Bär äussert auch regelmäßig im Blog „bär aktuell“ (http://blogkarljosefbaer.kallnbach.de/) und in einer Kolumne von „atelier -Zeitschrift für Künstlerinnen und Künstler“ weltbewegende Gedanken zur Zeit und protestiert an dieser Stelle nun aufs Schärfte gegen die drohende Abschiebung der beiden überlebenden Bären Reiner Maria und Friederike in den Wuppertaler Zoo. „Kölner Zoo feuert seine Bären“ titelte der „Express“ am 22. Mai 2015 und mutmaßte, die geplante Abschiebung geschehe womöglich aus Altersgründen. Ist nun skandalöserweise auch im Kölner Zoo der Jugendwahn ausgebrochen? Immerhin hält auch die Kölner Amtstierärztin es für äusserst bedenklich, die beiden 31 Jahre alten Bären jetzt in eine neue Umgebung zu verpflanzen. Daher solidarisiert sich Herr Bär mit der Protestaktion „Mer losse d’r Bär en Kölle“ und mit dem Reiter-Korps Jan von Werth von 1925 e.V., das seinerzeit das Dreigestirn stellte und die Patenschaft über die Grizzlybären übernahm, und das nun am Pfingstsamstag vor dem Eingang zum Zoo eine Sympathiekundgebung zum Verbleib der beiden überlebenden Bären durchführte.

Zum Werden und Wirken von Karl-Josef Bär ist auch eine Biografie erschienen: Jürgen Raap „Karl-Josef Bär – Stationen einer Karriere“, atelier-Verlag Köln, 100 Seiten, 4 Abb., 10 Euro, ISBN 3.9803131-4-X. Bestellungen direkt beim atelier-verlag, info@atelier-verlag.de

Conchita Wurst, von der Boulevardpresse als „La Wurst“ bezeichnet und damit endgültig in den Rang einer Diva erhoben, bekundete, Karl Lagerfeld röche „wie meine Oma“, nämlich nach Menthol. Was Herrn Bär zu dem Hinweis veranlasst, dass Mundspray mit Menthol-Geruch gemeinhin vor allem dann benutzt wird, wenn man Fischbrötchen mit Zwiebeln gegessen hat. Karl Lagerfeld ernährt sich allerdings bekanntlich hauptsächlich von gedünstetem Gemüse und Cola Light, und so nimmt Herr Bär an, der Lagerfeldsche Gebrauch jenes Menthols, dessen Geruch an die Oma von Conchita Wurst erinnert, diene keinem praktischen Nutzen, sondern sei womöglich eher eine exzentrische Marotte.

Dä Ott es fott Eher anrüchig ging es monatelang in der Kölner Kommunalpolitik zu, wo kaum jemand glauben mochte, dass bei der letzten Wahl ausgerechnet der beschaulich-gutbürgerliche Vorort Rodenkirchen zu einer Hochburg der Sozialdemokraten mutiert sei: das Wahlergebnis nährte den Verdacht, bei der Auszählung der Stimmen seien die Ergebnisse der Parteien vertauscht worden, und mit einer gewissen Arroganz der Macht sträubte sich vor allem die SPD mit fadenscheinigen formaljuristischen Argumenten so lange gegen eine Neuauszählung, bis die Stadtoberen vom Verwaltungsgericht dazu verdonnert wurden.

Der Verdacht schlunziger Auszählung bestätigte sich schließlich doch bei der gerichtlich erzwungenen erneuten Sichtung der Rodenkirchener Wahlurne; das Wahlergebnis wird nun entsprechend korrigiert, und so muss ausgerechnet der OB-Kandidat Jochen Ott seinen Ratssessel jetzt wieder räumen: Dä Ott es fott, wie man in Köln so sagt. Witzbolde entwarfen schon mal einen neuen Wahlzettel, auf dem neben „Lukas Podolski“ auch „Tünnes“ und „Schäl“ kandidieren, und wer die zunehmende Politikverdrossenheit vor allem als eine Parteienverdrossenheit begreift, der sieht die Ursache dafür in erster Linie in einer vom Wahlvolk als zunehmend unerträglich empfundenen Machtversessenheit und Machtvergessenheit mancher Politiker.

In Herrn Bärs hellhöriger Nachbarwohnung lebte jahrelang eine Familie mit einem etwa achtjährigen Kind, das Jahr für Jahr schon Mitte Oktober anfing, auf der Blockflöte Weihnachtslieder zu üben, bei „Stille Nacht, heilige Nacht“ aber immer nur bis zur zweiten Zeile kam, dann stockte und wieder von vorne anfing, so dass Herr Bär Jahr für Jahr dem 27. Dezember entgegen fieberte, an dem Weihnachten endlich vorbei war und die Blockflöte weggepackt wurde. Inzwischen ist die Familie fortgezogen, aber dafür wohnt jetzt in Herrn Bärs Nachbarschaft ein Instrumentenbesitzer, der sich mal auf der Gitarre, mal auf dem Saxophon und mal auf dem Keyboard versucht; doch die Töne, die er diesen Instrumenten zu entlocken trachtet, kann man beim besten Willen noch nicht einmal als „Free Jazz“ durchgehen lassen: im Vergleich zu diesem Instrumentenbesitzer war das mit nur mäßigem Erfolg Blockflöte übende Schulkind hochbegabt. Dass die Dadaisten vor 100 Jahren gegen den akademischen Kunstbegriff mit der Parole „Dilettanten erhebt euch!“ revoltierten, sollte man als Instrumentenbesitzer daher heute mehr nicht allzu wörtlich nehmen.

Auf FDP-Parteitagen tummeln sich jetzt neuerdings Blondinen herum Herr Bär möchte zu gerne wissen, was Rainer Brüderle ihnen abends an der Hotelbar ins Ohr säuselt. Mit dem Spruch „Gnädige Frau, Sie riechen wie meine Oma“ kann er bestimmt nicht punkten.

© Raap/Bär 2015

Bild des Monats Mai 2015 und bär aktuell Nr. 182

Mai 1st, 2015

erbschaft (542x800)nocturnus (702x1024)priesterin (554x800)straglue (2) (525x800)

Aus der Serie „Las Sambaritas“, jeweils Öl und Acryl auf Obstkiste, 2015

 

??????????????????????

Bild des Monats Mai 2015

Jürgen Raap, „Eine Vorliebe für orientalische Zigaretten“, 2015

 

Bär aktuell Nr. 182 – 22. Mai 2015

Der Kölner Schriftsteller Jürgen Becker erhielt 2914 den Büchner-Preis, und als 1961 im Hause des Autoren ein Knabe das Licht der Welt erblickte, wurde er auf den Namen Boris getauft. Die Welt war noch in Ordnung, als 1967 auch im fernen Leimen, tief unten im Badischen, eine andere Familie Becker ebenfalls ein Kind bekam und dieses Boris nannte, zumal jener Knabe in jungen Jahren „Bobele“ gerufen wurde. Doch dann nahm das Schicksal seinen Lauf, als 1984 ein Namensvetter des Schriftstellers, nämlich der Kabarettist Jürgen Becker, erste Meriten einheimste, indem er unter dem Pseudonym „Irokesen-Heinz“ Sitzungspräsident der Stunksitzung im alternativen Karneval und später bundesweit bekannt wurde: heute kann er in der massenmedialen Gesellschaft mit einer eigenen Fernsehsendung „Mitternachtsspitzen“ eine größere Popularität nachweisen als der Büchner-Preisträger mit seinem literarischen Werk, und dies möglicherweise zum Verdruss des Schriftstellers, der sich vielleicht insgeheim das eine oder andere mal gewünscht haben mochte, der Kabarettist würde weiterhin unter dem Namen Irokesen-Heinz auftreten. Das Wirken des Hegelschen Weltgeistes brachte indes für die nächste Generation der Beckers eine Wiederholung des Schicksals der Namensgleichheit und damit womöglich aus Sicht der Schriftstellerfamilie eine Ungleichverteilung des Ruhms mit sich, seit nämlich Bobele auf dem Tennisplatz zu „Bum-Bum-Becker“ mutierte: Der frühere Tennisspieler Boris Becker ist seit seinem ersten Wimbledon-Sieg zumindest in breiten Bevölkerungskreisen bekannter als sein Namensvetter, der Fotograf und Filmemacher Boris Becker, der sich vielleicht auch das eine oder andere Mal gewünscht haben mochte, der Tennis-Star würde weiterhin als „Bobele“ durch die Boulevard-Gazetten geistern, die genüsslich jeden seiner heutigen verbalen und sonstigen Fehltritte verbreiten. Da mag man an den Punk-Musiker Norbert Hähnel denken, der seinerzeit mit einer Band namens „Heino und die toten Hosen“ auftrat, was den Münstereifeler Volksmusik-Barden Heino wurmte und zu der Kontroverse führte, wer denn nun der „echte Heino“ und wer der „wahre Heino“ sei. Während die Fachpresse das fotografische Werk des Künstlers Boris Becker rühmt, machte hingegen „Bobele“ ganz andere Schlagzeilen, als er z.B. kürzlich in einem Londoner Fußballstadion mit einem Schal der berüchtigten Hooligan-Vereinigung „Headhunters“ gesichtet wurde. gab das Fußball-Fachblatt „11 Freunde“ daraufhin zu bedenken, für einen echten Hooligan sei „der Schal erst der Anfang“, denn zur adäquaten optischen Erscheinung eines Hooligans gehöre auch noch „ein Stiernacken und eine Verbrechervisage“, und das war in dieser Fußball-Fanpostille mit so feinsinniger Ironie formuliert, dass die Leserschaft noch tagelang darüber rätseln konnte, ob oder dass „Bobele“ über die nötigen anatomischen und physiognomischen Voraussetzungen zu einem echten Hooligan verfügt.

Sigmar Gabriel sagt man nach, er habe seinerzeit schon einen ungünstigen Einfluss auf den Berliner Eisbären Knut ausgeübt, als er 2007 die Patenschaft über den possierlichen Bären übernahm, der daraufhin der Fresslust verfallen sei. Bei den Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada macht Gabriel als Bundeswirtschaftsminister inzwischen eine Politik, wie man sie früher eher der inzwischen dahin gesiechten FDP zugetraut hätte, und dem äusseren Erscheinungsbild nach wirkt der Bonvivant aus Goslar wie einer, der gerne Hühnchen verspeist, die man vorher in Chlor getaucht hat, wie es in den USA zu den absonderlich anmutenden Konservierungs- und Kochsitten gehört und nach dem Willen der Freihandelsfanatiker demnächst eben auch bei uns. Ob im Gegenzug die deutsche Rüstungsindustrie künftig mehr Schießprügel an die Waffennarren in Missouri oder Minnesota verkaufen kann, bleibt indes abzuwarten. Wem nützt also ein solches Freihandelsabkommen? Bestimmt nicht freiberuflichen Autoren wie Herrn Bär, die fürchten müssen, dass dann die deutsche Buchpreisbindung gekippt wird und ein Medienmulti wie Amazon künftig mit der ungezügelten Verramschung der literarischen Werke von Herrn Bär zum „Alles muss raus“-Tarif dessen Einkommen schmälert. Dass die SPD schon anfängt, den solchermaßen wirtschaftsliberal verwirrten Gabriel als möglichen Kanzlerkandidaten für 2017 zu demontieren, sei ein dieser Stelle mit einer gewissen Genugtuung registriert.

In Köln wird im September 2015 ein neuer Oberbürgermeister gewählt. CDU, FDP und Grüne einigten sich auf eine parteilose Kandidatin. Der SPD-Kandidat Jochen Ott bekommt Konkurrenz durch einen weiteren Kandidaten, nämlich Herbert Nussbaum, den „singenden Nackedei Cowboy aus der Düsseldorfer Altstadt“. In Düsseldorf scheiterte er bei der letzten Wahl mit 2850 Wählerstimmen gegen Thomas Geisel (SPD). In Köln rechnet Nussbaum sich nun bessere Chancen gegen Jochen Ott aus, der als machtbewusster, aber ansonsten konturloser Parteisoldat gilt. Nussbaums Wahlkampfetat liegt bei 50 Euro. Das reicht locker für ein Bahnticket nach Köln und wieder zurück.
© Raap/Bär 2015

 

 

Bild des Monats April 2015

April 2nd, 2015

??????????????????????

Jürgen Raap, „Das goldene Feuer I“, 2015

 

Bär aktuell Nr. 181 – 3. April 2015

Beachten Sie bitte folgenden Veranstaltungshinweis:

Sonntag, 12. April 2015, 11 Uhr, Kunstmuseum Ahlen /Westf.:

Siglinde Kallnbach, Stückwerk-Performance in der Ausstellung zum 85. Geburtstag des Wiener Malers und Aktionskünstlers Arnulf Rainer

 

Hat Boris Becker das Internet erfunden? Und zwar schon vor 15 Jahren? Mitnichten. Die Zeitschrift „Der Stern“ habe ihn falsch zitiert, lamentierte Becker, denn er habe behauptet, er habe das Internet vor 15 Jahren „für mich“ erfunden, der „Stern“ jedoch diese zwei Worte „für mich“ unterschlagen. Aber auch so ist die Beckersche Behauptung eine grandiose sprachliche und gedankliche Fehlleistung in der Verwechslung von „erfinden“ und „entdecken“, aber damit schafft man es immerhin in die Medien in einer Zeit, in der sonst die beiden Grexit-Clowns Alexis Tsipras und Yanis Varoufakis mit ihren diplomatischen Tolpatschigkeiten die Schlagzeilen beherrschen. Während Boris Beckers Medienpräsenz durchgehend in der Tradition der Posse steht, gibt es derzeit hingegen kaum einen Zeitungskommentatoren, der darauf verzichtet, das schwer durchschaubare Lavieren der Tsipras-Regierung mit dem Prinzip der griechischen Tragödie zu vergleichen, die aber im Dürrenmatt’schen Sinne durchaus zugleich auch eine Komödie sein kann, wobei eine solche sich allerdings durch einen schlimmstmöglichen Zufall ins Tragische wendet. Irgendwie geht’s im griechischen Regierungskabinett schon ein wenig zu wie im Dürrenmatts „Die Physiker“, und dass Tsipras neuerdings damit liebäugelt, eine Art „Fettsteuer“ für Gyros-Gerichte einzuführen, hat schon Züge einer Burleske. Wo es bei der „Griechenland-Krise“ aber auch um das Aufrechnen von historischer Schuld und pekuniären Schulden geht, empfiehlt sich für ernsthafte Gemüter die Lektüre von Franz Kafkas „Der Prozess“, wo die Frage nach der Schuld in einem sehr komplexen Sinne in freudianischen Dimensionen abgehandelt wird. Wer es jedoch lieber auf dem Niveau eines seichten privaten Fernsehsenders oder plärrigen Twitter-Beitrags mag und ohnehin ein Anhänger des „Neuen deutschen Zynismus“ ist, dem sei eine Liedzeile der „Fantastischen Vier“ ans Herz gelegt: „Gebt uns die Schuld, den Rest könnt ihr behalten“.
© Raap/Bär 2015

Bild des Monats März 2015

März 1st, 2015

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

Jürgen Raap /Karl-Josef Bär, „Die gefährliche Wirtin“, 2015

 

bär aktuell nr. 180 – 22. März 2015

Verderben viele Köche den Brei? Aber ja doch. Gibt es zu viele Kochsendungen im Fernsehen? Aber gewiss, findet Herr Bär. Neulich wurde in einem Kochwettstreit um den Siegerpreis von 100.000 Euro gebrutzelt. Es traten zwei Berliner an, die bekundeten, sie hätten eben dort eine Kochschule gegründet. Der eine, ein Glatzkopf mit Ganzkörpertätowierung, gab zu, er sei früher mal Leibwächter gewesen, und er würde sich nun an diesem Fernseh-Wettbewerb mit einem „Tätowierten Schweinefilet mit Blutwurst“ beteiligen. Als „Tätowierung“ hatte er mit Sojasauce auf den Rücken des Filets ein paar Buchstaben gekrakelt, was die Jury aber nicht sonderlich originell fand, und als einer der Juroren die Schalotten probierte, verzog er angewidert das Gesicht und monierte, da sei zu viel Curry dran. Der tätowierte Koch erwiderte, er selber esse ja gerne scharf, und er habe deswegen die Schalotten so gewürzt, wie er es gerne möge, und außerdem solle die Blutwurst zu dem Schweinefilet wie eine Currywurst schmecken. Herr Bär begann, sich ein wenig veralbert zu fühlen und überlegte schon, ob er lieber in einen anderen Sender zappen sollte, doch da trat schon der Kompagnon aus der Kochschule mit einem Rinderfilet mit Sauce Bearnaise und Marktgemüse vor den Augen der strengen Jury an und fiel ebenfalls durch: das Marktgemüse habe alle Stufen von „immer noch roh“ bis „völlig zerkocht und zermatscht“ durchlaufen, bemäkelte einer der Juroren, und der andere befand, das kaum angebratene Fleisch sei ja auch „noch völlig roh“, was er aber mit „too rare“ umschrieb, um der Kochsendung einen Hauch von Weltläufigkeit zu verleihen. War das eine gute Werbung für die Kochschule der beiden Berliner? Wohl eher nicht.

Johann Maria Farina hat das Kölnisch Wasser erfunden. Dass man daher endlich in Köln nach ihm eine Straße benennt, geziemt sich sehr wohl für eine Duftmetropole, findet Herr Bär. Dass man für die Johann Maria Farina-Straße aber ausgerechnet eine Zufahrt zur Müllverbrennungsanlage in Köln-Niehl gewählt hat, entpuppt sich als burlesker Schildbürgerstreich der zuständigen Politiker. © Raap/Bär 2015